Die Herrin der Kelten
von ihrer Umgebung zu unterscheiden waren. Breaca spürte, wie sich die anderen hinter ihr versammelten, während sie langsam die Klippe erklommen. Nicht alle sahen Ardacos. Zweimal musste Breaca einen übereifrigen Krieger zurückhalten, der drauf und dran war, hinunterzustürmen, um es allein mit dem Bären aufzunehmen.
Sie hielt gerade Braint, das Mädchen vom Stamm der Briganter, am Arm fest, als sie plötzlich die anderen pelzigen Gestalten sah, kleiner und gespensterhafter, die der größeren folgten.
»Bärenjunge!« Sie ließ das Mädchen abrupt los. »Gwyddhien, wir müssen Ardacos warnen! Er kann die Bärin nicht aus den Augen lassen, aber eines der beiden Jungen ist groß und kräftig genug, um ihn zu töten!«
Ihre Warnung kam zu spät. Der Junge von den Brigantern war bereits zur Tat geschritten, noch ehe sie den Arm seiner Cousine losgelassen hatte. Er sprintete von der Felsenspitze hinunter, während er seinen Schlachtruf ausstieß und die Steine schleuderte, die er gesammelt hatte. Das kleinere Bärenjunge fuhr herum, als es ihn sah. Das größere richtete sich wie seine Mutter auf die Hintertatzen auf und bewegte sich drohend auf Ardacos zu. Vielleicht hatte er das Tier ja gesehen, aber ein Mann kann immer nur mit einem Bären tanzen. Er machte keine Anstalten, sich umzudrehen, um das Junge für sich einzunehmen oder sich zu verteidigen.
»Nein!« Breaca stürmte bereits vorwärts. Sie hielt die beiden Felsbrocken, die sie gesammelt hatte, und sie hatte Hail. Aber es war trotzdem nicht genug. Sie fühlte Caradoc auf ihrer linken Seite, an dem Platz des eidlich Verpflichteten, und sie war dankbar für seine Unterstützung. Gwyddhien lief auf ihrer Rechten. Andere rannten verteilt hinter ihnen. Venutios blieb auf der Felsenspitze, um das Geschehen zu verfolgen.
»Fass!« Mit einem stummen Gebet um sein Leben schickte sie Hail los, um die Bärin anzugreifen. Aus einer Entfernung, die größer war als eine Speerwurflänge, schleuderte sie den Ersten ihrer beiden Steine, und dank der Hilfe der Götter prallte er auf einen Felsblock direkt neben dem größeren Bärenjungen und zersprang, unzählige scharfkantige Splitter verspritzend. Das Junge jaulte auf und ließ sich auf alle Viere fallen. Ardacos fuhr herum und gab seinen Bärentanz auf. Die Bärin richtete sich noch höher auf und hieb wild mit ihren Tatzen durch die Luft. Hail stürzte sich von hinten auf sie, riss ein Maul voll Fell aus ihrer Flanke und sprang hastig rückwärts, ehe ihn die messerscharfen Klauen in Stücke reißen konnten. Die Bärin fauchte, ein erstaunlich leises Geräusch für ein so riesiges Tier, und wirbelte herum, um sich dieser neuen Gefahr zu stellen.
Breaca schrie: »Ardacos! Rechts von dir! Da ist noch ein Junges!«, und wusste noch im selben Moment, dass ihre Warnung zu spät kam.
Sie waren zu sechst, und alle hatten ihre Steine bereits geschleudert. Einer der jüngeren Krieger hatte eine brennende Keule mitgebracht und warf auch diese nach den Bären, aber sie alle hatten mit ihren Geschossen auf die ausgewachsene Bärin oder auf das größere der beiden Jungen gezielt; keiner hatte auf das kleinere geachtet, als es plötzlich den Jungen von den Brigantern zu Boden warf und seiner Mutter zur Hilfe kam. Für einen Bären war es nicht groß, aber Ardacos war auch schmächtig, und außer seiner Wendigkeit hatte er nichts, womit er sich hätte verteidigen können. Als das Tier mit seiner Tatze nach ihm ausholte, wich er dem Schlag durch eine blitzschnelle Drehung aus, so wie er sich auch von der angreifenden Sau weggerollt hatte, und wurde auf diese Weise nicht am Bauch verletzt. Stattdessen trafen ihn die rasiermesserscharfen Klauen an der Schulter, an genau der Stelle, wo er bereits von den Hauern des Wildschweins verwundet worden war. Mit einem Krachen, als bräche ein Ast entzwei, brachen sie ihm den Arm und rissen das Fleisch unterhalb seines Schulterblatts auf. Er stürzte lautlos zu Boden.
»Ardacos?«
Er lag bäuchlings auf einem Lager aus Moos und Farnkraut, den Kopf nach Westen gedreht, für den Fall, dass er sterben sollte. Der Junge von den Brigantern war bereits tot. Venutios hatte das Bittgebet an Briga gesprochen und sie beschworen, die Seele desjenigen aufzunehmen, der bei der Jagd ums Leben gekommen war, obwohl es seine eigene Schuld gewesen war und die Göttin das ebenso gut wissen würde wie sie alle. Die Cousine des Jungen trauerte um ihn, allein und schweigend. Von den Übrigen waren drei
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