Die Herrin der Kelten
hatte, und er wusste, der Rest der Besatzung betete mit ihm. Die Pferde verstummten. Selbst der prasselnde Regen blieb für einen Augenblick aus, als sich die winzige, wackere Erbsenschote aus Holz verzweifelt abmühte, ihrem Herrn und Meister das zu geben, was er haben wollte - und es dann doch nicht schaffte. Die Götter des Meeres lassen sich nun einmal nicht so leicht ablenken. Mit einem Übelkeit erregenden Knacken wie von einem brechenden Armknochen griffen sie aus den Tiefen des Ozeans herauf und brachen die Steuerradsäule mittendurch. Von der See befreit, schwang das zerbrochene Ende wild herum, und der Kapitän stürzte rücklings auf die Decksplanken und schlug sich hart den Kopf, als die Greylag - dem Befehl ihrer neuen Herren gehorchend - sich mit der Breitseite nach der See drehte und in die mörderischen Wellen hineinpflügte.
»Segoventos!«
Der Ruf kam aus der Nähe des Bugs, doch Luain war bereits an Ort und Stelle und kniete neben dem Kapitän, während er vorsichtig seinen Kopf hochhob und ihm mit den Fingern durch das von Salz verfilzte Haar strich, um seinen Schädel auf Brüche oder Wunden abzutasten. Er fand jedoch keine. Der stämmige Mann schüttelte seine Hand ab und hievte sich ächzend hoch.
»Wir sind verloren.« Die Worte drangen durch die Dunkelheit an Luains Ohr, von Windböen getragen. Das breite, bärtige Gesicht des Kapitäns war ihm zugewandt. Luain hatte den Mann niemals weinen sehen, weder während der zwei Dutzend harter, stürmischer Überfahrten, die sie bisher gemeinsam durchgestanden hatten, noch während der zehnmal so vielen Nächte, die sie betrunken an Land verbracht hatten. Jetzt weinte er, so dass die Tränen das Salzwasser von seinem Gesicht wuschen. »Sie wird jetzt manövrierunfähig durch den Sturm treiben, bis sie zerbricht, und das wird passieren, lange bevor wir Land sehen. Ich habe dich um deine Pferde gebracht. Es tut mir Leid.«
Es gab nichts mehr darauf zu sagen. Das war immer das Risiko, und Ertrinken war noch lange nicht die schlimmste Todesart. Luain der Ire, der nicht ausschließlich Kaufmann war, fühlte sein Ende nahen und veränderte die Art und Weise seines Gebets. Gefangen in den Klauen des Unwetters, während Sturm und Regen sein Gesicht wie mit eisigen Nadeln peitschten und das schwankende Deck sich nach besten Kräften bemühte, ihm die Beine zu brechen, tat er, was er konnte, um mit sich selbst und seinen Göttern Frieden zu schließen. Und weil er bald sterben würde und es keine Rolle mehr spielte, und weil es stockfinster war und das Heulen des Orkans überwältigend und weil irgendwo dort oben hinter den Wolken ein Mond war, den er gerne noch ein letztes Mal in seinem Leben gesehen hätte, sprach er sein Gebet laut, ohne sich um den starren Blick des Kapitäns zu kümmern.
Er zog sich an einem Tampen hoch und stellte fest, dass er stehen konnte. Das Viereck des Rahsegels flatterte über seinem Kopf im Sturm. Früher einmal hatte das Segel weiß geleuchtet, und die schwarze Gans, die es zierte, war im Gleitflug am Masttop geschwebt, so dass sie bereits aus der Ferne zu erkennen gewesen waren, lange, bevor sie in den Hafen einliefen. Jetzt hatte der Regen das Segeltuch von oben bis unten schwarz gefärbt, und die Umrisse der Gans verschwammen und verschmolzen mit dem Rest. Dennoch war sie immer noch etwas, zu dem Luain beten konnte, und er ließ seine Stimme in ihrer ganzen Lautstärke erschallen, um das Heulen des Sturms zu übertönen. Er hatte eine gute Stimme, und sie war sogar noch besser, wenn er die Töne freiließ und zu singen begann. Überall auf dem Schiff unterbrachen die Männer ihre eigenen Gebete und hielten inne, um ihm zuzuhören. Von irgendwoher fiel eine höhere, hellere Stimme in seinen Gesang ein und verband sich mit der seinen. In Gedanken versuchte er herauszufinden, wessen Stimme das sein mochte, und war über die Antwort nur teilweise überrascht.
Luain sang noch immer, als der Junge am Bug plötzlich laut aufschrie. Da er zuerst glaubte, der andere wäre über Bord geschwemmt worden, erweiterte Luain sein Gebet, um auch dieses neue Todesopfer mit einzuschließen. Dann fiel noch eine weitere Stimme in sein Lied ein, lauter und kräftiger als die erste. Der Sänger beobachtete, wie der Kapitän auf seiner Rechten den Blick von der tosenden, sturmgepeitschten See losriss, sich das Wasser aus den Augen wischte und es dann gleich noch einmal tat, so als ob das, was er sah, einfach nicht möglich sein
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