Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
jetzt nicht darüber reden willst, ist das auch in Ordnung. Aber versprich mir, meine Hilfe anzunehmen, sobald du sie brauchst.«
Er neigte sich ihr zu und wollte sie sanft küssen, um seine ungebrochene Liebe damit zu besiegeln. Doch sie verkrampfte auf der Stelle, und ehe sie begriff, was sie tat, versetzte sie Lando eine schallende Ohrfeige.
»Ich brauche keine Hilfe. Von niemandem, hörst du? Auch von dir nicht.«
»Ich wollte ja nur . . .«
»Mein Leben geht dich nichts an«, sagte sie hart. Sie kämpfte mit den Tränen, wollte aber auch das überspielen. »Ich will, dass du gehst. Für immer, Lando.«
Niemals, dachte sie, niemals werde ich diesen Blick vergessen. Wie ein enttäuschtes Kind, wie ein zahmes, verletztes Tier sah er sie an. Seine Verwundbarkeit rief noch einmal alle Leidenschaft in ihr wach, die sie für ihn empfand. Aber es war ihr unmöglich, irgendetwas zurückzunehmen. Sie war gefangen von Gefühlen, für die Lando nichts konnte. Sie wusste das. Und doch konnte sie nur zusehen, wie er sich langsam von ihr löste, zurückging, ohne sie aus den Augen zu lassen, schließlich aufsaß und ihr als letzte Geste seine Hand zur Versöhnung entgegenstreckte.
Sie konnte sie nicht ergreifen. Es war das Schwerste, was sie bisher in ihrem Leben tun musste, doch sie tat es, ohne nachzudenken, sondern aus einem überwältigenden Gefühl heraus, für das sie sich selbst schämte und hasste.
Als die Staubwolke, die Landos Abritt hinterließ, sich verzogen hatte, war er nur noch ein ferner Punkt. Marocia lief ein paar Schritte den schmalen Pfad entlang, als wolle sie die Distanz zu Lando wieder verringern. Dann blieb sie stehen. Sie wollte weinen, aber ihr Körper gehorchte nicht.
»Lando«, flüsterte sie.
Der Stimmung des Klosters Fontana Liri konnte selbst Marocias geplagtes Gemüt sich nicht entziehen. Hübsch gelegen an den hügeligen Ausläufern der Abruzzen, hatte man von den byzantinisch anmutenden Rundbogenfenstern aus einen wunderbaren Blick über die Ebene unterhalb der Sabiner Berge und auf die Quelle des Flüsschens Liri, die kaum hundert Meter entfernt unvermittelt dem Gestein entsprang. Außer der Aussicht aber hatte Fontana Liri nichts Majestätisches; nur sechzehn Schwestern lebten hier. Entsprechend klein und schlicht waren Kreuzgang und Klosterkirche gehalten.
»Wir vermissen die Größe anderer Klöster nicht«, sagte die Äbtissin, als sie Marocia alles zeigte. »Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber ich werde durch sie nur irritiert.«
Die Äbtissin war eine für dieses Amt erstaunlich junge Frau. Marocia schätzte sie auf knappe zwanzig Jahre und malte sich aus, dass sie womöglich die jüngste Tochter eines einflussreichen Adeligen war. Es war durchaus üblich, Christus
ein
Kind aus der Nachkommenschaft quasi zu opfern und in jugendlichem Alter in ein Kloster zu stecken. Diese Äbtissin aber sah alles andere als unzufrieden mit ihrem Los aus. Neugierig lugten ihre Augen aus dem runden, ganz vom weißen Gewand eingehüllten Gesicht und musterten den prominenten Gast.
»Werdet Ihr an den Messen teilnehmen?«, fragte sie.
»Ich . . . weiß noch nicht, ehrwürdige Mutter«, antwortete Marocia. »Momentan weiß ich überhaupt noch sehr wenig. Ich habe viel verloren . . . eigentlich alles. Ich muss mich ausruhen, nachdenken.«
Die Äbtissin blickte sie wie eine Freundin an.
»Das verstehe ich, Durchlaucht. Der Feldzug, seine Mühen und Schrecknisse . . . Die Kapelle steht Euch zu jeder Stunde offen.« Sie zwinkerte fröhlich mit den Augen. »Man weiß nie, wann der Herr bei einem anklopft und zum Gespräch ruft.«
Sie waren im Kräuter- und Obstgarten angekommen, der herrlich am Südhang des Klosters lag. Umrahmt von einer mannshohen Mauer barg er alle Farben und Düfte, die dem warmen, sonnigen Herbst von 915 eigen waren. Auf einer kleinen Steinbank, auf der die Schwestern sich gewöhnlich von der schweren Gartenarbeit erholten, saß Marocia eine Weile mit der Äbtissin und genoss den leichten Wind, der aus dem Tal heraufströmte. Ja, dieser Ort war genau das, was sie in den nächsten Wochen brauchte. Wenn sie überhaupt so etwas wie Versöhnung finden konnte, dann hier.
»Ich beneide Euch«, gestand Marocia plötzlich. »Jeden Tag dieser Frieden. Vor langer Zeit hat ein Pater sich gewünscht, dass ich in ein Kloster eintrete, und fast hätte ich es getan.«
»Wer hinderte Euch daran?«
»Ich mich selbst.« Sie seufzte. »Einige Menschen würden jetzt noch leben, wenn ich
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