Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
Heldin des damals vierzehnjährigen Mädchens.
Bertrada sprach nach ihrer »Flucht« aus der Provence, bei der sie allerdings ihre Söhne Hugo und Boso zurückließ, beim eben gekürten Papst Sergius vor, um die Annullierung ihrer Ehe zu erwirken. Normalerweise wäre sie als Frau nie damit durchgekommen, da aber Louis zu diesem Zeitpunkt längst von Theodora offen geächtet war, kam dieser Fall gerade recht, um dem vertriebenen König einen weiteren Schlag zu versetzen. Sergius annullierte die Ehe unter einem fadenscheinigen Vorwand, und Bertrada heiratete wenig später den alten Markgrafen Adalbert von Toskana. Louis freilich erkannte die Annullierung und demzufolge auch Bertradas Heirat mit dem Markgrafen und die Kinder aus dieser Verbindung nie an. Er hatte ihr bis heute nicht verziehen, und alles, was mit der Toskana zusammenhing, brachte ihn zur Weißglut.
»Ich hoffe«, sagte Marocia, »dass Ihr vernünftiger als Euer Vater seid, Graf von Vienne.«
Sie lehnten beide mit den Armen auf der Schlossmauer. Hugo schien seinen Blick auf die kaum sichtbare Silhouette des Montagne Sainte-Victoire fixiert zu haben, eines Mittelgebirges im Osten. Doch er sah nicht aus, als würde er den Ausblick genießen, vielmehr schien es Marocia, als wollte er den Berg mit seinem Blick zersprengen. Was Hugo auch tat, es hatte nichts Weiches, Vertrauenerweckendes an sich. Er hatte ein kantiges Gesicht, schmale Lippen, strenge braune Augen und einen resoluten Ausdruck, der durch die sehr kurz getragenen braunen Kopfhaare noch betont wurde. Trotzdem war er auf seine Weise attraktiv, mit einem ausgesprochen männlichen, muskulösen und doch geschmeidigen Körper.
»Ich war zwölf, als sie ging«, sagte er mit einer Stimme, in der kaum Betroffenheit schwang. »Eines Morgens war sie weg, zunächst hieß es für ein paar Monate, dann ein Jahr, dann sprach man nicht mehr darüber. Für
ihn
«– er machte einen Schwenk mit dem Kopf nach hinten –»ist sie eine hinterhältige Verräterin, die ihm den Schaum vor den Mund treibt. Für
mich
ist sie tot. Und wenn ich ihr begegnen sollte, ist es, als würde ich einen Geist treffen. Ich könnte mich also allenfalls erschrecken, aber ich erschrecke mich niemals und vor nichts, und darum ist es mir egal, ob sie bei der Verschwörung dabei ist oder nicht.«
Er sah sie unumwunden an. Sie hatte in ihrem vierunddreißigjährigen Leben schon vieles in den Augen von Männern gesehen: als Kind den sanften Ausdruck von Sergius, später Johannes’ Begierde, Berengars Gewalttätigkeit, aber auch Landos kokette, verführerische Liebe. Was sie jetzt in Hugos Blick spürte, war ihr neu. Es verunsicherte sie.
»Wird Spoleto ohne die Toskana Krieg führen?«, fragte er.
Marocia schüttelte energisch den Kopf. »Nein.«
»Dann ist es entschieden. Bereitet alles vor, Herzogin. Ich werde mich zu dem Treffen einfinden, wenn es soweit ist.«
»Und der König?«
»Oh, keine Sorge, der auch.«
Als Marocia sich verabschiedet hatte, ging Hugo zu seinem Vater zurück.
Und der empfing ihn mit den Worten: »Denk nicht einmal dran, Hugo. Es ist gut, dass sie auf unserer Seite steht, aber alles andere solltest du dir aus dem Kopf schlagen. Du weißt ja, was passiert, wenn eine Frau zu eigenständig ist.«
Aber Hugo nahm die Warnungen seines Vaters nie ernster als die Ratschläge eines dreijährigen Kindes.
Den richtigen Ort für das geplante konspirative Treffen zu finden, war mindestens genauso wichtig wie das Treffen selbst. Marocia schlug das Kloster Bobbio vor. Es lag bei einem abgelegenen lombardischen Bergdorf, in der Nähe einer Verbindungsstraße zwischen Genua und Piacenza, und bot ausreichend Platz und Nachtquartier für die Fürsten und ihr Gefolge.
Doch nicht bloß von seiner Lage her war Bobbio ein unauffälliger Treffpunkt. Das Kloster war Anno Domini 614 vom Heiligen Columban gegründet worden. Die Gebeine dieses vielfachen Klostergründers aus Irland ruhten in der Krypta von Bobbio, und die Bibliothek bewahrte gar acht Blätter einer Originalabschrift des Johannesevangeliums auf. Dass Bobbio überdies auch der Ort war, an dem es Columban einer Legende nach gelungen war, den Teufel zu überlisten, amüsierte Marocia, passte es doch genau zum Ziel des Treffens. Auf den Gedanken jedoch, dass an einem solch sakrosankten Ort ein konspiratives Komplott geschmiedet werden könnte, würde so leicht niemand kommen, und es wäre Marocia unter anderen Umständen auch nie gelungen, dem ehrwürdigen Abt die
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