Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
daran?«
»Ihr wollt mich nicht verstehen, Marocia.«
»Sagt mir ganz konkret: Was hat Hugo verbrochen, dass er Euch derart unangenehm ist?«
»Noch nichts. Aber er wird es tun.«
Marocia schüttelte den Kopf. »Er hat ein paar Dinge gesagt, die Euch widerstreben. Aber Ihr solltet ihn deshalb nicht in Bausch und Bogen verdammen.«
»Marocia, Ihr habt ihn bloß eine halbe Stunde in Aix und wenige Tage lang in Bobbio am Verhandlungstisch gesehen. Dazu die Aufregungen um den Aufstand . . . Ihr kennt ihn kaum.«
»Ihr kennt ihn ebenso wenig.«
»Meine Mutter hat mich vor ihm gewarnt, und sie weiß, wovon sie spricht. Hugo will immer mehr als das, was er hat. Und zwar schnell und um jeden Preis.«
Marocia wollte etwas erwidern, aber das laute Gekrächze eines Möwenschwarms, der seine Kreise über dem Tiber zog, lenkte sie kurz ab. Danach ließ sie nachdenklich ihren Blick schweifen. Der Morgendunst verzog sich langsam und brachte das Leben in Rom zutage. Ein Fischerboot glitt lautlos an ihr vorüber. Auf der anderen Uferseite trieben Händler ihre schwerfälligen Rosse an, und einige Frauen schleppten schwatzend riesige Wäschekörbe zum Wasser. Von irgendwo hallten die Geräusche eines kindlichen Streits heran, aber Marocia achtete nicht auf sie.
»Ich kenne ihn besser, als Ihr glaubt«, sagte sie leise und blickte ihren Schwager viel sagend an.
Er brauchte sichtbar einen Moment, bevor er begriff, was sie meinte. Doch dann veränderte sich der Ausdruck in seinen Augen schlagartig, und Marocia erkannte, dass sie in seiner Achtung gesunken war. Guido verbarg nichts, man konnte seine Gesten stets wie ein Buch lesen. In diesem Punkt unterschied er sich vielleicht am deutlichsten vom vielschichtigen Halbbruder. Marocia liebte gerade diese geheimnisvolle Seite an Hugo, aber ein gerader Mensch wie Guido musste dem fremd und misstrauisch gegenüberstehen.
»Trotzdem«, sagte er mit belegter Stimme. »Wenn es darauf ankommt, werde ich immer auf Eurer Seite stehen, Marocia, nicht auf Hugos. Vergesst meine Worte nicht.«
In diesem Moment hallten Schreie aus den Ruinen der Isola Tiberina. Marocia und Guido sprangen sofort auf und rannten in Richtung der Kinder. Zu ihrer Beruhigung kamen Eudoxia und Alberic ihnen schon entgegen.
»Pöbel!«, rief Eudoxia. »Alberic hat es ihnen aber ordentlich gegeben.«
Zwischen den Mauerresten stand eines der römischen Kinder, ein Junge, der einen guten Kopf größer als Alberic war. Mit einer Hand hielt er sich den Bauch, mit der anderen die blutende Nase.
»Warum«, schrie Marocia ihren Sohn erregt an, »bist du immerzu darauf versessen, dich mit größeren Kindern anzulegen?«
Doch Alberic sah seine Mutter nur mit jenem Trotz an, der in der Familie lag, und schwieg.
Bevor Guido Rom verließ, erfüllte er Marocia noch einen Wunsch. Sie bat ihn, einen Tag mit Alberic zu verbringen, denn sie spürte, dass der Junge ihn mochte. Und sie behielt Recht. Auf dem Ritt durch die Stadt wurde Alberic regelrecht gesprächig. Zu jedem Bauwerk wollte er wissen, wie alt es war und welche Funktion es einst erfüllt hatte. Als sie dann aber auf Guidos Braunem in die kolossale Arena des Flavischen Theaters einritten, verstummte der Junge und bekam große Augen. Minutenlang schien er nicht zu atmen und nicht zu blinzeln, dann hievte Guido ihn vom Rücken des Pferdes herunter. »Darf ich bitten, Herzog.«
Sie stiegen die Ränge des Amphitheaters hoch. Immer wieder blieb Alberic auf einer Stufe stehen und überblickte das Innere des Bauwerks. Das riesige Oval der Seitenwände war noch völlig erhalten, aber die marmorne Verkleidung war den Wechselfällen einer achthundertfünfzigjährigen Geschichte zum Opfer gefallen. Die Arena hingegen machte den trügerischen Eindruck, als seien dort gestern noch wilde Gladiatorenspiele ausgetragen worden.
»Warum sind hier keine anderen Leute?«, fragte Alberic.
»Deine Mutter hat das angeordnet. Die Römer haben das Kolosseum als Steinbruch benutzt. Damit hat es nun ein Ende.«
Alberic überlegte einen Moment. Er schien diese Anordnung gut zu finden, aber er sprach es nicht aus.
Sie setzten sich auf einen der steinernen Blöcke, die früher die Sitzreihen des Theaters gebildet hatten. Guido blickte in das Profil des Jungen, dessen väterliche Züge deutlich hervortraten. Von Marocia keine Spur. Das lang gezogene Kinn, die wässrig grauen Augen und die Blässe der Haut unterstrichen jene gewisse körperliche Kargheit, die schon dem alten Herzog eigen
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