Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
Vertreter der Stadtteile, saßen auf der einen Seite einer langen Tafel, die
praetores
, die höchsten Beamten, auf der anderen. Der Stuhl an der Stirnseite war in den letzten zwanzig Jahren unter Theodora und den wenigen Monaten unter Marocia frei geblieben, und so leitete Ablabius, der
primus magistratus
, die Sitzung.
In vollem Ornat, die Hände auf dem Rücken verschränkt, stand er vor dem Fenster und blickte auf das Markttreiben hinab, während seine Kollegen hinter ihm über Nichtigkeiten schwatzten. Das Forum war von den Trümmerstücken der verfallenden Bauwerke notdürftig gesäubert worden, und die Händler hatten ihre Stände zum ersten Mal seit Hunderten von Jahren wieder dort aufgebaut, wo früher der prächtigste und umtriebigste Platz des ganzen Römischen Reiches gewesen war. Doch die Anzahl der Kaufleute hatte sich weiter verringert, so wie er, Ablabius, es vorausgesagt hatte. Die byzantinischen Händler waren gegangen, und mit ihnen der letzte Rest von Kultur, den der römische Markt noch gehabt hatte. Nun tummelten sich nur noch zwei oder drei Dutzend primitive
illiterates
dort unten und versuchten, ihren schäbigen Trockenfisch, halb faulen Kohl oder ausgemergelte Klepper an noch primitivere Leute als sie selbst zu verkaufen.
Das alles hätte Ablabius eigentlich amüsieren können, doch seine Miene war bitter. Für die Erteilung ihrer Marktlizenzen hatten die byzantinischen Händler nicht nur gutes Geld an die Stadtkasse gezahlt, sondern auch das ganze Jahr über die Haushalte der
praetores
kostenfrei mit bester Nahrung und edelstem Tuch versorgt. Das hatte nun ein Ende, und Ablabius rechnete sich im Stillen aus, wie viel Geld ihn das kosten würde.
Das Geschwätz seiner Kollegen verstummte schlagartig. Eine Stimme, die Ablabius hier nicht erwartet hatte, riss ihn aus seinen Überlegungen: »Verzeiht die Verspätung. Aber wie ich sehe, arbeitet Ihr auch ohne mich zum Wohle des Volkes und der Stadt.«
Es war Marocia, die den Saal betreten hatte und sich nun auf den Platz an der Stirnseite setzte.
»Senatrix!«, rief Ablabius überrascht. »Wir hatten nicht erwartet, dass Ihr . . .«
»Ja, ich weiß. Die Geschäfte gestatten mir erst jetzt, mich diesem erlauchten Gremium angemessen zu widmen«, führte sie höflich aus. »Aber bitte, edler Ablabius, löst Euch aus der Erstarrung, und leistet uns hier am Tisch Gesellschaft.«
Er brauchte noch einen Augenblick, ehe er sich einen Ruck gab, unsicher durch den Raum lief und sich schließlich zögerlich auf seinen Platz setzte.
»Nun, wo wir komplett sind, möchte ich bitte die Tagesordnung sehen.«
»Die . . .?« Ablabius kam mit dem Denken nicht so schnell hinterher. Die Situation war derart ungewohnt . . .
»Tagesordnung«, wiederholte Marocia. »Es gibt doch wohl eine Liste?«
»N-nicht direkt«, antwortete Ablabius vorsichtig.
»Wir wollten über die städtischen Baumaßnahmen zur Erweiterung meiner Villa sprechen!«, rief einer der Beamten, aber Ablabius weitete warnend seine Augen und fuchtelte mit den Händen.
»Äh . . .ich meinte . . . es ist ja nur wegen . . .«, stammelte der Beamte.
Marocia lächelte. »Ich verstehe«, sagte sie liebreizend. »Die
städtischen
Maßnahmen zwecks Ausbau Eurer
privaten
Villa. Sicher ein sehr dringliches Problem, das wir gewiss auch noch eingehend besprechen werden, darauf könnt Ihr Euch verlassen. Aber angesichts von Armut, Hunger, Schmutz, Krankheiten und alltäglicher Gewalt«– die Beamten rümpften die Nase, als stiege ein ekliger Gestank hoch –, »angesichts also dieser Vielzahl anderer Probleme möchte ich einen eigenen Tagesordnungspunkt vorschlagen.«
»Sicher, sicher«, riefen die einen, »natürlich« und »wie schön« die anderen, froh darüber, nicht den Zorn der Senatrix erregt zu haben, die offenbar für Geschäfte unter der Hand nichts übrig zu haben schien.
Marocia packte einen Beutel auf den Tisch, stülpte ihn um, und heraus fiel ein unförmiger gelblicher Klumpen. Ungläubige Stille herrschte beim Betrachten der seltsamen Masse, die sich langsam auf dem Tisch bewegte, obwohl sie nicht flüssig war.
»Ist das Butter?«, fragte Ablabius und hob die buschigen Augenbrauen fast bis zum Haaransatz.
»Es heißt Seife, meine Herren«, erklärte Marocia. »Ich habe sie von einem sarazenischen Händler erworben. Man kann diese Seife nicht essen, aber in arabischen Ländern wird sie seit etwa zweihundert Jahren ausgesprochen erfolgreich zur Reinigung des Körpers benutzt. Viele
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