Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
mit der Lanze durchbohren«, sagte Johannes, während er vor dem Altar der Laterankirche auf den Beginn der Krönungszeremonie wartete. Es war ein Zynismus des Schicksals, dass ausgerechnet er Marocia lauthals den Segen Gottes herbeiwünschen, sie mit dem heiligen Öl salben und ihr die Lanze mit dem Kreuznagel zum Kuss hinhalten sollte, obwohl niemand sonst sie mittlerweile mehr hasste.
»Eure Zeit wird kommen«, sagte Desiderius.
»Ja, Desiderius. Aber wann? Das Glück ist auf ihrer Seite.«
Der Kardinal faltete die Hände und sah zur Kirchenpforte. Dort erschienen in diesem Augenblick Hugo und Marocia mitsamt dem Gefolge. Der Chor schmetterte ein mächtiges
Kyrie
, der das Gotteshaus erzittern ließ, und die versammelten Edelleute verneigten sich. Während das Herrscherpaar auf den Altar zuschritt, hallte die Basilika von Gesängen wider.
»Mit dem Glück ist das so eine Sache«, raunte Desiderius dem Papst zu. »Es ist kein Dauergast. Es langweilt sich schnell und wechselt den Ort.«
Marocia kniete neben Hugo vor dem Altar nieder, der ihr schon so viel Glück gebracht hatte. Hierhin hatte sie sich als Kind vor den todbringenden Steinbrocken gerettet, und hier hatte sie als junge Frau jenen Schwur geleistet, der sie erst zu dem gemacht hatte, was sie heute war. Bevor sie die edelsteinbesetzte Krone empfing, lächelte Marocia zu ihrem Gemahl hinüber und blinzelte ihm zu. Gegen den Widerstand von Päpsten, Fürsten und heimlichen Beherrscherinnen, von Ehegatten und Vätern waren sie König und Dame im Spiel der Mächte geworden.
Zwei Wochen lang turnten jeden Abend Artisten über die Marmorböden der Villa Fortuna, trieben Komödianten allerlei Schabernack in den Festsälen, leuchteten die Büsche und Blüten des
peristyl
s im Licht der hundert Fackeln und hallte der Tibergraben wider vom Gelächter erlesener Gäste und vom Schwung der Flöten und Fideln. In den Ruinen des Marcellus-Theaters am Flussufer gab Marocia an drei aufeinander folgenden Tagen ein Bankett für das einfache Volk, und wenn sie sich dort blicken ließ, erhielt sie auf der Stelle so viele Trinksprüche, dass sie für ein ganzes Leben reichten.
Kaum waren die Krönungsfeierlichkeiten beendet, gab es ein weiteres freudiges Ereignis zu feiern: Marocia brachte ein gesundes Mädchen zur Welt. Neuerlich rauschten tage- und nächtelang die Feste, und wieder nahmen die einfachen Leute der Stadt Anteil daran, nur dass diesmal die junge Tochter in die Trinksprüche einbezogen wurde: »Lang lebe Alazais, lang lebe Alazais, lang lebe . . .« Marocia wollte jede einzelne Stunde dieser Wochen in ihr Herz einschließen, so sehr ergab sie sich ihrem Glück. Aber als sie sich am sechsundzwanzigsten Abend nach der Krönung und dem vierzehnten nach der Geburt auf die Liege ihres Terrassengartens warf, seufzte sie vor Erleichterung.
»Endlich, Hugo. Ich dachte schon, wir feiern, bis wir achtzig sind.« Sie lachte. »Der Feldzug war leichter zu ertragen als die Siegesfeiern danach.«
»Es ist noch nicht vorbei«, sagte er und deutete ein wenig verstimmt auf den Tiber. Dutzende von Fischerbooten kreuzten um die Insel, und die Spiegelungen ihrer pechgetränkten Fackeln tanzten wie helle Sterne auf dem nächtlichen Fluss. Einer der Fischer kam mit seinem Kahn nahe an die Mauer der Terrasse heran und reichte Marocia eine Rose hinauf, bevor er sich wieder dem funkelnden Reigen anschloss.
»Sie scheinen dich zu lieben«, meinte Hugo trocken. »Kein Wunder, denn wie ich höre, hast du ihre Abgaben gesenkt. Sie sparen viel Geld.«
Marocia roch lächelnd an der rosa Blüte. »Wie du es ausdrückst, hört es sich kalt an. Weißt du, im Hochsommer führt der Fluss kaum Wasser, und die Tiberfischer sind in dieser Zeit gezwungen, im Meer zu fischen. Leider sind ihre Boote nicht seefest. Etliche von ihnen ertrinken jedes Jahr, und die Witwen und Kinder versinken danach im Elend. Also dachte ich mir, wenn ich die Abgaben senke, können die Fischer für den Sommer sparen und sind nicht gezwungen . . .«
»Sagte ich ja«, unterbrach er sie knapp. »Du hast sie gekauft.«
Marocia erwiderte nichts. Sie streckte sich vollständig auf ihrer Bank aus und blickte in den schwarzblauen Himmel. Das Wasser schlug sanft an die Mauern, und ein lauer Wind, der den Fluss hinaufkroch, ließ die Blätter der Büsche rascheln. Das Leben war so schön, so voller Momente, die versteckt wie kleine Juwelen inmitten von Sand und Gestein glitzerten. Es lohnte sich, sie mit viel Zeit und
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