Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
Alberic den Falken zu fassen. Eine ruckartige Drehung des Vogelnackens – und es war vorbei.
Eine kurze Böe heulte über die grasige Ebene und mischte sich mit dem kläglichen Winseln Ciceros. Alberic kniete neben seinem Freund. Er bettete dessen Kopf auf seine Schenkel und streichelte das kurze braune, blutbespritzte Fell. Ciceros Augen waren schwarze Höhlen, die nie wieder das Grün der Wiesen oder das Flackern der Kaminfeuer sehen würden. Alberic erinnerte sich an Momente, in denen sein Gefährte in Bächen gebadet, über Baumstämme gesprungen und im Dickicht der Wälder getollt hatte. Und bei jeder einzelnen Erinnerung flüsterte er den Namen: Cicero.
Alda kam heran und kniete sich neben ihren gleichaltrigen Stiefbruder. Ihre Hand verjagte die Mücken, die sich überall auf die zerrissene Haut setzten, und tröstete den Hund. Ihre Worte berührten Alberic. Der Dreizehnjährige blickte sie kurz an, und er fand sie plötzlich so schön, so liebevoll. Ihre kastanienbraunen, wunderschön gesteckten Haare, ihre deutlich geschwungenen Lippen, die großen, ehrlichen Augen. Ja, er konnte vergessen, dass sie Hugos Tochter war. »Er ist ein Ungeheuer«, raunte er ihr zu. »Ich hasse ihn, und ich hasse
sie
dafür, dass sie ihn geheiratet hat.«
»Du hast meinen Falken umgebracht!«, rief Hugo von seinem Pferd aus. »Dafür wirst du bestraft.« Er befahl seinem Sohn Lothar, Alberic mit einem Stock zu verprügeln.
»Aber er hat doch nur . . .«
»Schweig«, zischte Hugo ihn an. »Du tust, was ich sage.«
Lothar stieg von seinem Pferd ab und brach einen Weidenzweig. Damit ging er auf Alberic zu, doch dieser entlud seine ganze Wut in einem einzigen Sprung und einem einzigen Schlag ins Gesicht des vier Jahre älteren Stiefbruders. Lothar fiel wie ein junger Baum zu Boden.
Hugos Kiefer mahlten. »Das büßt du mir!«, rief er, packte Alberic im Vorbeireiten am Kragen und zerrte ihn auf das Pferd. Vergeblich schrien Odo von Cluny und Alda hinter ihm her. Hugo ritt wie der Teufel, und niemand vermochte ihm zu folgen.
Pavia war eingehüllt vom goldenen Glanz der Nachmittagssonne, als Hugo mit Alberic vor ihm auf dem Sattel durch die Stadttore ritt. In den gepflasterten Gassen stritten Licht und Schatten um die Territorien, und auf den Simsen der Bürgerhäuser räkelten sich die Katzen in der Frühlingswärme. Über allem lag Ruhe. In Pavia gab es keine Bettler und keine Vagabunden, nicht einmal Spielmannsleute, sie wurden allesamt nicht geduldet. Stattdessen residierten hier viele reiche Kaufleute und die alten langobardischen Adelsfamilien, die nichts anderes zu tun hatten, als sich gegenseitig mit ihrem Reichtum zu beeindrucken. Die Marotte, dass die edlen Familien bei jeder Geburt eines Sohnes einen Turm errichteten, ging auf ebendiese Eitelkeit zurück – und natürlich war der jüngste Turm auch immer der höchste.
Ein König, der durch die Straßen ritt, war ein alltägliches Bild in der Residenzstadt, und so würde niemand über Gebühr auf Hugo und seinen Stiefsohn geachtet haben. Doch Alberic rief Schimpf und Schande über den König, so dass es alle hören konnten: »Ein Tyrann ist euer König. Er quält seine Kinder, ist habgierig und ungerecht. Niemand von uns liebt oder achtet ihn. Wer ihn kennt, meidet seine Gegenwart. Er ist wie ein Aussätziger und . . .«
»Du machst es nur noch schlimmer«, sagte Hugo und gab seinem Pferd einen Tritt. In mörderischem Galopp preschte er durch Pavia, Menschen flohen von der Straße, ein Marktstand kippte um, und ein Kind strauchelte und fiel bäuchlings auf das Pflaster. Erst im Palasthof bremste Hugo seinen Rappen. Nachdem er abgestiegen war, zog er einen seiner Reithandschuhe aus und gab Alberic damit eine Ohrfeige. Der Junge wollte sich mit einem Schlag rächen, doch Hugo fing diesen ab und erteilte ihm eine zweite Ohrfeige. Da spuckte Alberic ihn an.
»Du kannst mich schlagen oder einsperren, was auch immer, es gibt nichts, womit du mir wehtun kannst.« Er straffte den Rücken und funkelte Hugo mit zornigen Augen an.
Hugo knirschte mit den Zähnen. »Das werden wir ja noch sehen.« Er zerrte Alberic in das Innere des Palastes, die Gänge entlang. »Weißt du eigentlich, was ich mit deiner Mutter gemacht habe, als dein Vater noch lebte?«, fluchte er erregt.
»Du lügst!«, schrie Alberic.
»Dann warte noch zwei Minuten, und du wirst sehen, wie wenig ich ein Lügner bin.«
Er stellte Alberic vor dem Schlafgemach ab und ließ die Tür einen Spalt offen,
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