Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
verfolgt ihn ins Grab und treibt ihn in die Höll’.«
Egidia leerte ihren Becher in einem Zug und blickte betroffen auf den Tisch. »Zwei Wochen«, murmelte sie. »So lange hängen sie schon.«
»Zwei Wochen und zwei Tage«, stellte Regnald richtig. »’s ist nicht mehr viel von ihnen da. Die Krähen, musst wissen. Die Krähen machen sie klein bis auf die Knochen . . .«
Marocia nahm ruckartig ihr Ohr von der Tür und schluckte die Beere hinunter, die sie seit einer Weile in ihrem vor Staunen halb geöffneten Mund behalten hatte.
»Es war nicht recht von dir zu lauschen«, warf Leon ihr von hinten flüsternd vor. »So etwas haben wir noch nie gemacht.«
»Ich weiß«, erwiderte Marocia heiser und sah wie durch ihren Bruder hindurch. »Aber irgendwann muss man ja mal anfangen.«
»Muss man nicht.«
»Pater Bernard nennt so etwas Progress, wenn man neue Ideen ausprobiert.«
»Nur, wenn sie erfolgreich sind.«
»Ich
war
erfolgreich. Ich habe eben Sachen gehört, die ich sonst nie gehört hätte.«
Als Theophyl mit Marocia die Stufen der Villa in der Via Lata hinunterging, war die Sonne wenige Momente zuvor hinter dem Mons Aurelius versunken. Seine Stimmung war ebenso trist wie die schwarze Silhouette der Stadt vor dem blassgrauen Himmel, und seine Hand umfasste die seiner Tochter nicht fest und beschützend wie früher, sondern schwach und mutlos. Er spürte in sich eine zunehmende Müdigkeit, gegen die Umstände anzukämpfen, ja sogar über sie zu reden. Aber einmal musste er es doch noch tun. Das war er seiner Kleinen schuldig.
Seufzend setzte er sich auf eine Treppenstufe, so dass er auf gleicher Höhe mit Marocia war. »Bevor deine Mutter herauskommt, möchte ich dir noch etwas sagen. Es ist nicht ganz leicht, und vielleicht verstehst du mich ja auch gar nicht, aber . . . Die Herzogin macht sich heute Abend lustig über die Toten. Sie ist eine Teufelin. Hätte sie dich nicht ausdrücklich eingeladen, würde ich dich nicht mitnehmen, das kannst du mir glauben. Aber so . . . Sie hat irgendetwas vor, mit dir, mit mir, mit uns allen, und ich weiß nicht, was ich dagegen tun soll.«
Er legte seine Hände sanft auf Marocias kleinen Schultern ab. Tränen sammelten sich in seinen Augen, und er musste mehrfach tief durchatmen, um verständlich weiterzureden. »Wenn du klug bist, und ich glaube, du bist es, wirst du später weder wie deine Mutter noch wie ich werden. Wir haben nämlich die wichtigste Regel vergessen: Du musst für alles, was du dir vom Leben wünschst, einen Preis bezahlen – manchmal einen sehr hohen Preis.«
»Für alles?«, fragte Marocia.
»Ämter, Titel, Reichtum, Macht . . . sogar Liebe, einfach für alles. Wenn du diese Regel vergisst, Marocia, wirst du eines Tages alles, was ein Leben schön macht, verloren haben. Ich weiß, es ist kompliziert. Aber kannst du mich trotzdem verstehen?«
Seine kleine Tochter nickte und umarmte ihn traurig. »Es hört sich an, als würdest du irgendwie weggehen.«
Unglaublich!, dachte er. Ein kleines Kind bloß, aber sie begriff etwas, das er selbst noch nicht begriffen hatte. Ohne es zu wollen, hatte er sich ausgedrückt wie jemand, der Abschied nimmt. Er wischte sich die Tränen nicht von der Wange und erwiderte Marocias Druck, als wolle er seine Kleine nie wieder loslassen. Doch er wusste bereits, dass er sie verlieren würde.
»Höllengelächter«, murmelte Theophyl mit finsterer, angewiderter Miene vor sich hin, als er zusammen mit Frau und Tochter die Villa der Herzogin unweit von Rom betrat. Der Festsaal war angefüllt mit Heiterkeit und Genuss. Überall brannten die Fackeln und reflektierten ihr Licht in prächtigen Wandspiegeln und in den roten und gelben Seidenstoffen, die die Saaldecke bespannten. Flöten und Tamburine spielten beschwingte Melodien und animierten zum Tanz. Wie eine Sommerwiese im Wind, so schwangen die kostbaren Roben der Gäste in allen Farben über den polierten Marmor, und gelegentlich übertönten lautes Gekicher und verzückte Schreie das sonore Raunen angeregter Konversation.
»Überwältigend«, hielt Theodora ihrem Mann dagegen und prüfte, ob ihr samtenes kirschfarbenes Kleid mit denen der anderen weiblichen Gäste mithalten konnte. »Dass du uns mit deiner fatalen Stimmung bloß nicht blamierst«, mahnte sie Theophyl, kurz bevor Kardinal Sergius zu ihnen trat.
»Ein ausgelassener Abend, nicht wahr?«, wollte er ein höfliches Plaudern beginnen.
»Wenn man die Leute so sieht«, antwortete Theophyl mit einem
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