Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
fragte der Richter sich, log der Kardinal für ihn? Und wie sollte er nun reagieren? Es ging um sein Leben, aber auch um seine Würde als aufrechter Mann. Beides konnte er nicht behalten. Endlich nickte er.
»Nun gut«, sagte Ageltrudis nicht mehr ganz so streng und lehnte sich entspannt zurück. »Es ist April, und die Pappeln an der Via Appia sind voll jungen Laubes. Richter, ich wünsche, dass am Sonntag mehr Leichen in den Bäumen hängen als Blätter, auf einer Strecke von hundert Schritten.«
»Das . . . das ist sehr anspruchsvoll, Durchlaucht«, stöhnte Theophyl.
»Ich dachte, die Listen sind umfangreich und lassen keine Wünsche offen?«
Theophyl schluckte und verbeugte sich leicht. »Ich bin zuversichtlich, Euren Wunsch erfüllen zu können, Durchlaucht.«
Zufrieden erhob Ageltrudis sich. Für heute war es genug. So rasch würde es keiner mehr wagen, ihre Führungsrolle in der Heiligen Stadt zu beanstanden. Ohne die tiefen Verbeugungen aller zu beachten, verließ sie den Saal, in dem die Schatten der Verbliebenen im Licht der Fackeln zitterten.
Theophyl bedankte sich von ferne mit einem Kopfnicken bei Kardinal Sergius, aber schon im nächsten Augenblick verfluchte er seine Geste. Sein Herz raste, und das Pochen in seinem Kopf kam wie ein Donner über ihn. Seine Frau ergriff ihn am Arm und zog ihn zu einem der Rundbogenfenster.
»Ist dir klar, was der Kardinal gerade für dich getan hat?«, herrschte Theodora ihren Mann an. »Mit einem Kopfnicken deinerseits ist das nicht abgetan. Da müssen wir uns schon etwas mehr einfallen lassen. Ich hätte da auch schon eine Idee . . .«
Theophyl wischte sich mit einem Tuch die feuchten Hände und den Bart trocken und blickte hinaus auf das nächtliche Rom. Einige ferne Laternen blinkten wie Sterne aus der in tiefe Schwärze gehüllten Stadt, und Theophyl wünschte sich, jetzt irgendwo da draußen zu sein, in einer der tausend finsteren, schmutzigen Straßen oder in den unheimlichen Ruinen der antiken
domus aurea
, des Neropalastes auf dem Esquilin, wo heutzutage nur Heimatlose kampierten. Er sehnte sich nach Ruhe, wollte keinen mehr kennen, niemanden sprechen, nichts mehr tun. Doch das war nur ein Traum.
Er richtete seinen Blick wieder auf den Thronsaal, der in all seiner Pracht erstrahlte: die goldene Farbe an den Wänden, die kunstvolle meerblaue Ornamentik an Decke und Boden, hinter dem Thron das Mosaik mit dem Bild Christi, der beschützend die Hand über seine Stellvertreter auf Erden hielt. Und inmitten dieser Erhabenheit, die jedem Pilger und jedem Botschafter ferner Staaten stets den Atem raubte, rotteten sich nun die Würdenträger in kleinen Gruppen zusammen und lachten bereits wieder miteinander, als sei nichts gewesen, als habe der Henker nicht eben erst einen ihrer Kollegen gehängt.
»Schein«, murmelte Theophyl versunken. »Trug und Lüge.«
Theodora stieß ihn an. »Was redest du denn da wieder? Hast du verstanden, was ich über Sergius gesagt habe? Er hat sich eine Belohnung verdient.«
»Er hat mich aber auch in eine schwierige Lage gebracht«, erwiderte Theophyl ärgerlich.
Theodora verdrehte die Augen. »Er rettet dir das Leben, und du sagst, er habe dich in eine schwierige Lage gebracht? Also manchmal verstehe ich dich nicht, Theophyl.«
»Und wen, glaubst du, soll ich am Sonntag in die Pappeln der Via Appia hängen? Ich habe keine Liste!«
Theodoras Mundwinkel zuckten. »Also, wenn es weiter nichts ist . . . Hänge irgendwelche Leute auf. Die Gassen der Stadt sind voll davon.«
Der Duft frischer Erdbeeren erfüllte die ganze Küche der Villa Sirene, und Marocia und Leon konnten es kaum erwarten. Die köstlichen Früchte waren rar. Selbst die Edlen in Rom kamen nur an ein schmales Pfund der Erdbeeren heran, wenn sie über gute Beziehungen zu einem Landadeligen oder einem reichen Kaufmann verfügten. Dass heute eine große Schale davon in der Villa abgegeben worden war, kam einer Sensation gleich.
Gewiss, die Tafel der Villa Sirene gehörte zu den vielfältigsten Roms: Wildgerichte mit frischen Kräutern, Rinderwürste, gesottener Fisch, Feigen in Honig, Eierspeisen mit Eingekochtem . . . Aber das Aroma der Erdbeeren war unvergleichlich. Kein Wunder, dass um jede einzelne Frucht gestritten wurde.
»Warum«, fragte Leon seine Schwester beleidigt, »nimmst du dir zehn Beeren und gibst mir nur fünf?«
»Weil der Kardinal sie geschickt hat«, antwortete Marocia. »Für mich! Das ist doch so, nicht wahr, Egidia?«
Die Amme
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