Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
gestellt wurden. Doch Rom war riesig, und selbst wenn man noch offene Tore vorfinden sollte, würde es Stunden dauern, bis Hugo seinen in der Stadt kämpfenden Truppen Verstärkung bringen konnte. Er begann aufgeregt vor den Mauern auf und ab zu reiten, gestikulierte wild mit seinen Fäusten und fluchte zu den Zinnen hinauf.
Doch dann brachte ein Späher Hoffnung: »Die Porta Flaminia, Euer Gnaden«, begann er keuchend.
»Rede schon! Ist sie offen?«
Der Späher konnte nur noch nicken, dann drückte ihn Hugos Pferd schon zur Seite. »Zur Flaminia«, befahl er dem Gefolge und ritt allen voran. Er gab seinem Rappen die Peitsche, und er fluchte, als er sah, dass die anderen nicht schnell genug folgten. Mit wehendem Haar preschte er über eine der Tiberbrücken und bog zur nördlichen Stadtmauer ab. Die Porta war in Sichtweite – und sie war noch immer offen. Hugo zückte sein schweres goldenes Schwert, hielt es in die untergehende Wintersonne und schrie in den Abend hinein: »Rache, Alberic! Das ist dein Ende!«
Die Hände ungeduldig ringend, lief Marocia vor dem langsam verglimmenden Kamin auf und ab. Gleich würde auch diese letzte Licht- und Wärmequelle versiegen. Doch das war ihre geringste Sorge. Der kleine Crescentius schrie vor Hunger, doch sie hatte nichts mehr, das sie ihm geben konnte. Den ganzen Tag schon war niemand gekommen, um ihr Nahrung, Holz oder Kerzen zu bringen, auch ihre Zofe war nach dem morgendlichen Ankleiden nicht wieder erschienen. Ihr Mittagsspaziergang war ausgefallen, die Mehrzahl der Bewacher ausgerückt. Später hatte sie von irgendwoher Waffengeklirr vernommen, aber bei einem Blick aus dem schmalen Fenster nichts Außergewöhnliches beobachten können. Und das alles, dachte sie, am Heiligen Abend.
Endlich war Crescentius zu müde zum Schreien und schlief ein. Der letzte Funke im Kamin erlosch. Das Gemach wurde in Kälte und Dunkelheit getaucht. Eine bleierne Ruhe senkte sich über alles, nur Marocia lief noch immer von einer Ecke zur anderen. Schließlich hielt sie das Nichtstun nicht mehr aus. Sie hämmerte mit der Faust an die Tür, doch niemand kam, sie rief aus dem Fenster, aber keiner antwortete ihr. Der halbe Mond stand ganz oben am Firmament, es musste also schon Mitternacht oder später sein. Marocia grübelte, seufzte, dann schnürte sie ihr bronzefarbenes Brokatkleid auf, das sie eigens zu diesem Festtag angezogen hatte, und zog ihr schlichtes weißes Nachthemd an.
Gerade, als sie sich neben Crescentius zu Bett legen wollte, hörte sie Schritte auf dem Gang. Das Schloss knirschte. Marocia stellte sich vor dem Bett auf und wartete, wer in der Tür erschien. Sie sah eine schemenhafte Gestalt, die eine einzelne Kerze in der Hand hielt, fast wie ein Mönch. Die Gestalt kam näher, und endlich fiel ein Schimmer des schmalen Lichts auf deren Gesicht. Marocia stockte der Atem.
»Alberic!«, rief sie und wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte.
Alberic sah die Liebe in den Augen Marocias. Wie schön sie noch immer war, dachte er. Ihre halblangen schwarzen Haare, die Würde, die selbst in einem zu weiten Nachthemd nicht verloren ging, ihre ebenso weichen wie tapferen Züge – faszinierender als jetzt hatte er sie nie gesehen.
Er breitete seine Arme aus, und sie fiel ihm entgegen. Sie drückte ihre Wange an seine, und er spürte die Tränen der Freude und Dankbarkeit.
Ein leichtes, kaum sichtbares Lächeln umspielte Alberics Mundwinkel.
»Frohe Weihnachten«, sagte er. »
Christus natus est
.«
»Frohe Weihnachten«, erwiderte sie mit halb erstickter Stimme. Noch einmal umarmte sie ihn mit aller Kraft und Wärme. Dann fragte sie: »Was ist geschehen?«
»Hugo ist in eine Falle gegangen«, erklärte Alberic erstaunlich nüchtern, wo jeder andere unverhohlene Freude gezeigt hätte. »Gleich in mehrere sogar. An der Porta Flaminia haben wir auf ihn gewartet, und ich selbst habe einen Pfeil auf ihn abgeschossen.«
»Dann ist er . . .«
»Nein, ist er nicht. Ich habe ihn leider nur an der Schulter getroffen. Aber er ist aus Rom vertrieben. Könnt Ihr Euch vorstellen, Mutter, wie er geflucht hat?«
Marocia lachte kurz auf. »O ja. Ein Waschweib ist wohl nichts dagegen.«
Nun lachte auch Alberic. Sie sahen sich beide an, innig und verbunden wie nie. »Du hast mich befreit«, sagte sie leise und ernst. »Du hast geschafft, was sonst niemand schaffen konnte. Ich bin stolz auf dich.«
In diesem Moment fing Crescentius wieder zu schreien an. Marocia nahm ihn in ihre Arme
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