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Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste

Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste

Titel: Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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zuckte ihm die Erinnerung an ihre letzte Begegnung durch den Kopf, damals, unmittelbar nach der Besetzung Roms. Ich werde hundert Jahre alt, hatte sie ihm eisig entgegengeschleudert, und ich werde auf deinem Grab tanzen. Fünfzehn Jahre war das her. Hugo hatte nie wieder an diese Worte gedacht, aber merkwürdig, mit einem Mal waren sie ihm präsent, als hätte sie sie gestern gesprochen.
    Ein plötzlicher Zorn wallte in ihm hoch. Bis eben hatte er geglaubt, immer der Herr seines Schicksals gewesen zu sein, aber nun kam er sich vor wie eine dieser dummen hölzernen Figuren in Marocias Lieblingsspiel. Er brüllte. Wie ein wild gewordener Bär brüllte er über die Leichen und Hügel hinweg seinen Zorn in die Welt.
    Indes zuckte Bosos Blick über das Gras um ihn herum, auf der Suche nach einer Waffe. Er fand einen Pfeil. Der Schaft war in der Mitte durchgebrochen, aber die Spitze intakt. Boso ließ seine blutende Wunde los und klemmte den Pfeil in seine beiden Fäuste. Mit all der Kraft, die ihm geblieben war, rammte er die Spitze in den Nacken seines Bruders. Hugo schrie auf. Er sank auf die Knie. Hinter ihm kicherte Boso, gehässig und unversöhnlich selbst im Tod. Hugo fühlte, wie seine Beine taub wurden, und noch bevor diese Benommenheit seine Arme erreichen konnte, wirbelte er herum und stieß Boso das Schwert in den Unterleib.
    Schließlich fiel Hugo entkräftet zur Seite. Hilflos kullerte er den Hügel hinunter, mitten in ein Schlammloch. Er schmeckte das Blut auf der Zunge und spürte, wie der Schlamm ihn vollständig einhüllte. Irgendetwas flüsterte er noch, einen Namen vielleicht oder auch einfach einen Fluch, aber er verstand ihn selbst nicht mehr. Und dann wurde es für immer dunkel um ihn.

    Wie vor mehr als dreißig Jahren saß Marocia erneut im Festsaal des Palastes von Capua und lauschte den heiteren Melodien der Flöten, Fideln und Tamburine. Damals hatte sie sich hier mit Lando zerstritten und ihn für viele Jahre verloren – zu viele, wie sie später wusste. Wie wäre ihr Leben wohl verlaufen, wenn sie Lando statt Hugo . . .
    Heute, zehntausend Tage später, vereinte ein gütiges Schicksal sie und Lando auf unvorhergesehene Weise: Alazais und Priscian feierten Vermählung, und als Lando seinen Arm um ihre Schultern legte, Marocia sanft an sich zog und die Wange an ihre schmiegte, fühlte sie sich aufgehoben und zufrieden.
    Seit Hugos Tod dachte sie fast jeden Tag daran, wie viel sie in letzter Zeit zerstört hatte. Hugos Reich war in Teile zerborsten. Italien war wieder zerrissen in verschiedene Lager – Berengar von Ivrea, Lothar, der Rest von Hugos Gefolgschaft, Rom unter Alberic – aber im Grunde war es auch unter Hugo und ihr selbst nie wirklich geeint gewesen. Dieses Italien schien mit der Hervorbringung des Römerreiches seine Aufgabe in der Geschichte als getan anzusehen; aus eigener Kraft würde sich nichts Bedeutendes mehr aus ihm entwickeln.
    Und sie selbst? Die Erfüllung der verschiedenen Wünsche, die sie als Mädchen und als junge Frau für sich selbst erträumt hatte, verteilte sich heute auf seltsame Weise auf ihre einzelnen Kinder: eine Kaiserkrone, die Herrschaft über Rom, ein ritterlicher Mann wie Priscian zum Gemahl. Aber noch war das Leben ja nicht vorbei, noch war alles möglich. Landos Kraft, mit der er sie ansah, war der beste Beweis dafür. Drei Männer, Sergius, Alberic und Hugo, hatten ihr nicht das geben können, was er vermochte: Wärme und eine tief innewohnende Zuversicht, das Richtige zu tun. Jetzt, wo sie das verstand, strömte ein wunderbares Gefühl durch sie, das Gefühl, nicht am Ende zu stehen, sondern am Anfang.
    »Jeder Mensch bestimmt selbst, wo er steht«, murmelte sie.
    »Was hast du gesagt?«, fragte Lando, der über seinen Weinkelch hinweg den Tänzern zusah.
    »Nichts weiter. Tanzen wir?«
    »Du lieber Himmel, ich habe seit ewigen Zeiten nicht mehr getanzt«, wandte er ein.
    Sie wischte das Argument fort. »Wir sind zu alt, Lando, um unsere Zeit mit Herumsitzen zu verschwenden.«
    Sie packte ihn an beiden Armen und führte ihn in die Mitte des Festsaales.
    Als die Musikanten den Fürsten und Marocia sahen, schickten sie sich an, eine langsame Melodie zu spielen, aber Lando rief ihnen zu: »Eine Giga.« Und an seine Geliebte gewandt, fügte er hinzu: »Wenn schon, denn schon.«
    Die beschwingten Klänge übertrugen ihren Rhythmus auf die Tänzer. Wie ein Rosenblatt im Wind wirbelte Marocia in ihrem roten Kleid unter Landos Armen hindurch, hinter

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