Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
und das Leben von seiner leichten Seite nahm, blickte ihre Mutter nun ernst und nachdenklich an.
»Ich . . . wüsste nicht«, antwortete Marocia zögerlich.
»Seid Ihr sicher? Etwas über meinen Vater vielleicht?«
Marocia hatte mit ihrer Tochter fast nie über Hugo gesprochen. Er war immer fern gewesen und hatte sich auch nicht um seine Kinder aus dieser annullierten Ehe gekümmert. Alazais’ Versuche, in brieflichen Kontakt mit ihm zu treten, waren allesamt gescheitert, ja, es schien, als wollte er mit dieser Phase seines Lebens keinerlei Berührung mehr haben, sei es aus Abneigung oder dem Gegenteil. Die Nachricht von seinem Tod schien Alazais dennoch betroffen gemacht zu haben, und wenn sie erfahren würde, dass ihre Mutter dabei die Hände im Spiel gehabt hatte . . .
Da Marocia schwieg, fragte Alazais nach. »Er ist nicht ausschließlich einer Koalition politischer Mächte zum Opfer gefallen, habe ich Recht?«
Marocia schlurfte durch das feuchte Laub des Gartens und blickte in den grauen, trostlosen Himmel. Ein leiser Schauer erfasste sie. Die Jahre hatten die schmerzliche Erinnerung an Eudoxias Abschied im Zorn kaum mildern können, und die Vorstellung, dass Alazais das nächste Kind sein könnte, das Marocia verloren ging, war ihr nahezu unerträglich.
»Doch, schon«, antwortete sie einsilbig.
»Und deine Reise nach Magdeburg hatte nichts damit zu tun?«
»Sie galt der Vertiefung der Freundschaft zweier Länder.«
»Und die vielen Briefe, die kurz vor Vaters Sturz hier ein und aus gingen?«
»Unentwegt Briefe schreiben ist eine harmlose Angewohnheit aus der Zeit, als ich noch in der Engelsburg . . .« Sie stockte. Sie war dabei, ihr eigenes Kind nach Strich und Faden zu belügen. Marocia holte tief Luft und blieb stehen. »Ich wünschte mir seinen Sturz, seine Vertreibung und dass er vor einem Trümmerfeld steht, so wie ich damals vor einem stand«, gab sie zu. »Ja, ich habe an dem Netz gewoben, das ihn fing. Aber als ich von seinem Tod hörte – glaube es oder nicht –, da hatte ich das unerwartete Gefühl, etwas verloren zu haben.«
Sie schloss die Augen und hörte, wie Alazais sich einige Schritte von ihr entfernte. Als Marocia die Lider wieder öffnete, stand ihre Tochter unter einem alten, hohen Baum und lehnte sich mit dem Rücken an seinen Stamm. Marocia ging auf sie zu, und als sie vor ihr stand, fiel Alazais ihr in die Arme.
»Mein Kind«, flüsterte Marocia. »Dann verstehst du mich?«
Alazais nickte. »Auch, wenn ich selbst nicht so gehandelt hätte. Aber nachfühlen kann ich, warum Ihr es getan habt.«
»Ein Glück. Ich hatte ja so schreckliche Angst, du würdest . . . du könntest dich von mir . . .«
»Nein, Mutter. Ich werde immer an Eurer Seite stehen.« Alazais blickte nun noch ernster als bisher, wie ein anderer Mensch. »Lebt wohl«, sagte sie und küsste Marocia. »Doch was auch immer Ihr als Nächstes tut – belügt nie wieder eines Eurer Kinder.«
Ein seltsames Zischen und Säuseln füllte das Innere der Engelsburg aus, so als hätte eine Heuschreckenplage sich des Gebäudes bemächtigt. In allen Räumen, Sälen und Gängen wuselten Bedienstete und Arbeiter herum, kleideten Wände und Böden ein, schleppten Mobiliar von einer Ecke zur anderen und räumten allerlei Silber, Ton und Tand aus riesigen Truhen und verteilten es. Kammerfrauen stritten sich über die Position von Vasen und Lüstern, Waffenträger reklamierten ganze Räume für sich, und Gärtner versuchten verzweifelt, den Weg zur großen Terrasse zu finden. Blanca traute ihren Augen nicht, als sie die spiralförmige Rampe nach oben ging. Mehrmals wurde sie angerempelt, mehrmals auch fragte sie nach, wo sie Marocia finden konnte, doch alle waren viel zu beschäftigt, um sie zu beachten. Das Chaos schien ihr perfekt, und doch steckte anscheinend ein Sinn hinter alldem.
»Wie finden wir nun deine Mutter?«, fragte Blanca und sah Crescentius ratlos, ja fast verzweifelt an. »Ich hörte, sie beziehe heute die Engelsburg, aber
hiervon
hatte ich keine Ahnung. Das ist ja eine Legion.«
Crescentius reagierte zunächst überhaupt nicht auf die Frage Blancas. Die Hände in den Taschen, blickte er sich ein wenig gelangweilt nach allen Seiten um. Doch plötzlich, als habe er eine Beute erspäht, schnellten seine Hände heraus und packten einen etwa gleichaltrigen Pagen.
»Wo ist Marocia?«, fragte er ihn.
Der Jugendliche grinste ihn schräg an und antwortete im primitivsten Stadtlatein: »Bin ich ’n Orakel, oder
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