Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
seinem Rücken entlang, beugte sich nieder und wieder hoch, drehte sich, ergab sich Landos Griff und befreite sich wieder daraus. Die Musikanten, mitgerissen von der Freude der beiden, fiedelten schneller, und der Adel Capuas sah begeistert dem aufreizenden Spiel von galanter Werbung, von ehrlicher Zuneigung, Stolz und würdevollem Aufbegehren zu. In diesem Tanz, so schien es den Tänzern selbst, steckte all das, was ihre jahrzehntelange Beziehung ausmachte.
Als sie aufgedreht und erschöpft zugleich zu ihrem Platz zurückkehrten, meinte Lando: »Für einen Moment habe ich mich wie zwanzig gefühlt, wie damals, als ich dir zum ersten Mal begegnete. Aber jetzt«– er ließ sich erleichtert auf den Sessel zurückfallen –»weiß ich, dass du mich nur behext hast. Noch so ein Tanz, und ich danke als Fürst von Capua für immer ab.«
Er griff begierig nach einem Kelch voll des dunklen, fast schwarzen Weines der Gegend und leerte ihn fast in einem Zug. Er schmatzte und kostete jeden Augenblick aus, in dem er Marocias Profil anblicken durfte. Sie war so reif, das Schicksal hatte sie nur noch schöner gemacht, fand er. Zu dem trotzigen Ausdruck ihrer Jugend, der Entschlossenheit der Kampfesjahre und der Würde ihres Königinnentums waren zunächst Nachdenklichkeit und nun auch Gelassenheit dazugekommen. Marocia erschien ihm weitaus geduldiger als früher, ohne jedoch etwas von ihren anderen, für ihn anziehenden Eigenschaften eingebüßt zu haben. Auf andere mochte sie ja mit jedem Jahr mehr wie ein Orakel wirken, das man sieht und hört, aber nicht versteht, doch er konnte – warum auch immer – in ihren Augen und der Art, wie sie die Worte setzte, wie in einem Buch lesen. Und das, was er in diesem Moment las, machte ihm so sehr Freude, wie es ihn schmerzte.
»Was wirst du als Nächstes tun?«, fragte er sie, obwohl er die Antwort kannte. Er tat, als trinke er vom Wein, doch aus den Augenwinkeln achtete er nur auf ihre Gesten.
Marocia stützte ihr Kinn auf die Fingerspitzen und richtete den Blick mehr nach innen als auf ihre Umgebung. Sie dachte an einen Tag ihrer Kindheit, als sie mit Pater Bernard im
peristyl
spazieren gegangen war. Da war der plätschernde Brunnen, die Sonne, die gelehrsame, aber warme Stimme ihres Lehrers . . . Sie hatten von einer großartigen Fiktion gesprochen, von einem starken abendländischen Reich, das wie einst das Römische den Kontinent vereinen sollte. Eine faszinierende Idee für Marocia, und gleichsam ein Stern, der zwar manchmal von Nebel und Wolken unsichtbar geworden war, manchmal auch von der hellen Sonne persönlichen Glücks, aber nie wirklich verschwunden war. »Etwas aufbauen«, sagte sie. »Auf dem Zerstörten etwas Besseres wachsen lassen. Ja, das will ich, Lando.«
Er nahm eine Strähne aus ihrem locker gesteckten Haar und wickelte sie sorgsam um seinen Finger. Beide sahen sich an, grüne und schwarze Augen verschmolzen gleichsam ineinander. Sie öffnete zögernd die Lippen, um etwas zu sagen, doch er kam ihr zuvor. »Ich weiß, du musst nach Rom, um dein Werk zu tun. Niemand, meine Katze, kann dich ganz besitzen. Und gerade darum liebe ich dich so sehr.«
Sie saßen noch eine ganze Weile beieinander, berührten sich und tauschten Blicke. Noch als alle Gäste und das Hochzeitspaar gegangen und alle Fackeln und Kerzen gelöscht waren, blieben sie im Festsaal zurück, und sie tanzten zu einer Melodie, die nur sie hörten.
Wenige Tage später, an einem nebeligen Herbsttag 949, verließ Marocia die Stadt, die ihr in den letzten Jahren Zuflucht und Heimat gewesen war. Zuvor bat sie ihre Tochter ein letztes Mal, mit ihr im Garten spazieren zu gehen. Dort fielen die Blätter in Scharen von den Bäumen und welkten auf den Rasenflächen dahin. Marocia selbst hatte sich gewünscht, dass die Gärtner das Laub liegen lassen sollten, wo es war. Sie mochte die Stimmung, die nur der Oktober zu zaubern vermochte, wenn Rot, Ocker und Gold die italienische Landschaft überzogen und feuchter Wind die von der Trockenheit rissigen Böden aufweichte. Das war die beste Zeit zum Abschiednehmen – und zum Feiern. Im ganzen Fürstentum polterten nun die rustikalen Weinfeste, so auch in der Hauptstadt selbst. Über die hohe, moosbewachsene Mauer drang der Lärm der rauschenden Feier und bildete den kuriosen Kontrast zu Marocias innerer Stimmung.
»Gibt es noch etwas, das Ihr mir sagen wollt?«, fragte Alazais, und es klang etwas Forderndes in ihrer Stimme mit. Sie, die fast immer lächelte
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