Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
was er alles gelernt hat«, berichtete Blanca, da Crescentius den Mund nicht aufmachte. »Geometrie, Rhetorik . . . Und stell dir vor: Er spielt gerne Schach, wie du früher.« Blancas Begeisterung flaute ab, als sie hinzufügte: »Leider schätzt er auch den Schwertkampf über alle Maßen, und Theologie liegt ihm gar nicht.«
Marocia winkte ab. »Theologie!
Ein
Sohn als Papst reicht mir wirklich.« Sie zog ein Buch aus einem der vielen Stapel, die in der Bibliothek wie Türme einer Festung aufragten. Es war je eine Elle breit und lang, und schon der mit goldfarbenen Intarsien versehene Einband deutete auf ein nicht nur körperlich gewichtiges Werk hin. »Es stammt aus dem Deutschen Königreich«, erklärte sie und schlug eine beliebige Seite auf. Eine wunderbare, in braunen und olivgrünen Tönen gehaltene Malerei umspielte die sorgsam gesetzten Kalligrafien. Jede Seite war ein Kunstwerk für sich, entstanden in Dutzenden, ja womöglich Hunderten Stunden akribischer Arbeit. »Über die Kunst des Schachspiels«, las Marocia den Titel vor und reichte das Buch Crescentius. »Ich könnte mir vorstellen, dass dieses Buch dir hilft, dein Spiel zu perfektionieren.«
Crescentius ging mit keinem Wort auf das Geschenk ein. Schweigend legte er es zur Seite, als wolle er sich die Option offen halten, es mitzunehmen oder liegen zu lassen.
»Nun ja«, unterbrach Blanca die gespannte Stille zwischen Mutter und Sohn. »Möchtest du uns jetzt vielleicht durch dein neues Reich führen?«
»Das würde im Moment einem Narrenspiel gleichen«, sagte Marocia äußerlich heiter. »Wir würden nur herumgestoßen«, erklärte sie weiter. »Wenn alles fertig ist, seid ihr die Ersten, die es sehen werden, versprochen. Danach gebe ich ein großes Fest für alle Würdenträger. Immerhin bin ich nach wie vor eine Senatrix. Es schadet nicht, diese Tatsache nach so vielen Jahren zu betonen.«
»Und diese furchtbar düstere Statue«, schmunzelte Blanca, »diese Mathaswintha, stellst du vermutlich zur Abschreckung in der Eingangshalle auf, wie?«
Marocia lachte. »Keine Sorge, meine Liebe. Sie wird dich nicht länger beunruhigen. Ich habe sie gut einpacken und mit besten Grüßen nach Pavia zu Königin Adelheid schicken lassen. Als verspätetes Krönungsgeschenk sozusagen.«
»Daran wird sie momentan kaum Gefallen finden«, kommentierte Blanca betrübt. »Kurz, bevor wir zu dir aufbrachen, kam die Nachricht: König Lothar stürzte vom Pferd – er wird diese Woche nicht überleben, wenn der Herr kein Wunder geschehen lässt. Die arme Alda trägt schwer daran – und das, wo sie doch hochschwanger ist.«
»Oh«, seufzte Marocia gedehnt. Neben ihrer ersten Anteilnahme für den Unfall ihres ehemaligen Stiefsohns und die möglichen Auswirkungen auf Alda hörte Crescentius jedoch auch noch etwas anderes in ihrer Stimme mitschwingen: Interesse.
Er hatte sich schon die ganze Zeit auf diesen Augenblick gefreut. Er beobachtete seine Mutter genau und konnte förmlich spüren, wie tausend Überlegungen zu der neu entstehenden Situation in Italien durch ihren Kopf gingen, wie sie das Schachbrett überblickte und alle möglichen Züge durchdachte. Zum ersten und einzigen Mal an diesem Tag zuckte ein wissendes Grinsen um seinen Mund. So hatte er sich seine Mutter immer vorgestellt. Sie entsprach vollkommen seinem Bild, ja, er fühlte sich sogar mit ihr verbunden, fühlte, dass er von ihrem Blut war. Doch diese Erkenntnis reizte ihn nur noch mehr. Verbundenheit und Gegnerschaft, Bewunderung für die kluge Schauspielerin und Rivalität pulsierten in diesem Moment gleichermaßen in ihm.
Marocia wandte sich ab, ging einige Schritte davon und seufzte ein zweites Mal mit dem gleichen Laut. Doch diesmal hörte es sich in Crescentius’ Ohren an, als sei darin die Erfüllung eines lange gehegten Traumes verborgen.
Lothar starb kurz darauf im Januar 950, und die Nachricht von seinem Ableben warf auch Alda nieder, denn am Hof ihres jähzornigen Vaters waren beide sich in ihrem Unglück sehr nahe gewesen.
Als Marocia davon hörte, galten ihre Gedanken dieser immer freundlichen und sanften Schwiegertochter, und sie galten Alberic, dem das wohl Kostbarste in seinem Leben verloren gehen konnte. Einen Tag und eine Nacht lang irrte sie durch die nahezu komplett ausgestattete Engelsburg, immer auf der Suche nach Ablenkung, doch es wollte sich keine finden. Was, wenn auch Alda sterben würde? Sie fühlte ihren Sohn bedroht, und die Ohnmacht, ihm nicht beistehen zu
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