Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
Rom, der im Zwist mit seiner Mutter lebte, sondern der kleine Junge, der sich in den Gärten von Assisi beim Herumtoben verletzt und das Weinen verkniffen hatte. Er lehnte seinen Kopf an Marocias Schoß, als habe er sie erst gestern gesehen, als sei nie etwas zwischen ihnen gewesen. »Mutter«, sagte er. »Sie war alles, was ich hatte, Mutter.«
»Aber nein«, sagte sie sanft und fuhr ihm über die Haare. »Denk an Octavian und an deine beiden Töchter, von denen eine das letzte Geschenk deiner Frau an dich war. Du musst jetzt weitermachen, Alberic. Du darfst nicht aufgeben.«
Ihre Worte waren wie ein Tropfen in einer Wüste, sie bewirkten nichts. »Ich bin nicht wie du«, sagte Alberic. »Ich habe die Liebe so nötig gehabt . . .«
Marocia wusste nicht, ob er Aldas Liebe meinte oder ihre Mutterliebe. In jedem Fall aber traf sie dieser Satz ins Herz. Inmitten der Dunkelheit schloss sie die Augen und schluckte ihre Empfindungen hinunter. »Die Kleine . . . Sie braucht einen Vater. Du
musst
stark sein.«
Er schüttelte den Kopf, wandte sich wieder zu Alda um und ergriff ihre erkaltende Hand. »Ich bitte Euch, Mutter, kümmert Ihr Euch um die Taufe. Sucht ihr einen Namen. Alda«, schluchzte er, »hätte es so gewollt.«
Mit diesen Worten brach er verzweifelt über der Leiche zusammen. Marocia musste gehen; in dieser seltsamen Zweisamkeit eines Paares war kein Platz für eine Mutter. Sie nahm ihre erst wenige Stunden alte Enkeltochter auf den Arm und verließ so leise, wie sie gekommen war, den Raum. Als sie später vor die Villa trat, schneite es noch immer aus dem Aschehimmel über der nebelverhangenen, trostlosen Stadt, aber ihr schien es, als sei die Luft ein wenig wärmer geworden.
». . . taufe ich dich auf den Namen Cecile Blanca«, erklang die laute, tragende Stimme Suidgers von Selz durch die kleine Taufkapelle, die sich in einem Seitenschiff der Laterankirche befand. Eigentlich hätte er sich gar nicht so anstrengen müssen, denn außer der Namenspatronin, die das Mädchen über das bronzene Taufbecken hielt, war nur noch Marocia anwesend. Sie war es gewesen, die ihn speziell um den Ritus gebeten hatte und nicht den derzeit regierenden Papst Agapet II., und Suidger vermutete dahinter eine bestimmte Absicht der Senatrix.
Suidger schlug ein stummes Kreuz über der jüngsten Dienerin Gottes, dann erklärte er die Zeremonie für beendet. Marocia trat einen Schritt näher. »Ist sie dir zu schwer geworden?«, fragte sie ihre Schwester. »Soll ich Cecile nehmen?«
»Aber nein«, erwiderte Blanca. »Ich könnte jedes Jahr so einen Winzling über ein Taufbecken halten. Stundenlang. Du weißt vielleicht gar nicht, Marocia, welches Glück du hast, Kinder und Enkelkinder zu haben. Ich habe nichts dergleichen.«
»Alberic wird nichts dagegen haben, dass Cecile dir wie eine Tochter ist.«
»Cecile Blanca«, korrigierte Suidger und lächelte die frühere Äbtissin gütig an.
Nun verlor auch Blanca wieder ihre Melancholie. »Dann bringe ich die Kleine mal besser gleich in Alberics Haus und gebe der Amme einige Anweisungen.« Mit diesen Worten ging sie davon, achtsam wie auf Wolken. Marocia und Suidger sahen ihr nach, bis sie die Kapelle verlassen hatte.
»Sie ist eine begnadete Mutter«, stellte Marocia fest, ohne Suidger dabei anzusehen. »Und sie wäre eine noch bessere Großmutter. Zu dumm, dass Crescentius sie nie wirklich als Fürsorgerin akzeptiert hat. Im Gegenteil, er war wohl immer eine Quelle des Kummers für sie.« Nun sah sie Suidger mit wissenden Augen an. »Und nicht nur für sie, nicht wahr, ehrwürdiger
primicerius
?«
Suidger von Selz genoss es, von der berühmt-berüchtigten Marocia zu einem Gespräch aufgefordert zu werden. Obwohl ihr Name in Alberics Beisein fast fünfzehn Jahre lang nie genannt werden durfte, war er doch stets allgegenwärtig gewesen. Die Reformen, die sie vor zwanzig Jahren eingeleitet und die Alberic im Grunde fortgeführt hatte, trugen reiche Früchte. Seit hundert Jahren war Rom nicht mehr so friedlich gewesen wie derzeit. Der römische
manci
hatte den byzantinischen
besanti
erstmals als wichtigste Münze abgelöst, was vor allem fränkische Kaufleute scharenweise anzog, die wiederum Steuern zahlten und die päpstlich-prinzipale Kasse füllten. Mietshäuser und Waisenheime konnten saniert und Brunnen gebohrt werden, schmutzige Rinnsale und Abwässer verschwanden, der Tiber war sauberer, Seuchen waren selten.
Stärker als Marocias Reformarbeit beeindruckten einen Mann
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