Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
denn er schilderte Marocia mit weit ausholenden Gesten und enthusiastischer Stimme die Geschichte des Ortes. Manchmal trug ein frischer Wind, der die Strahlen der Sonne abmilderte, einige Wortfetzen aus den Erklärungen des Kardinals zu Egidia herüber: ». . . Haus der Livia . . . Palast des Tiberius . . . Circus Maximus . . . Christenverfolgung des Jahres 64 . . .«, aber während die Kleine jede Erzählung aufzusaugen schien, blieben sie für Egidia nur voller hohler Namen, die nichts mehr bedeuteten. Ihre Sorgen galten allzu gegenwärtigen Problemen.
Sie stapften über eine von Faltern und Hummeln umschwärmte Wiese, und als Marocia wie eine Heuschrecke durch das hohe Gras sprang, an Blumen roch und Käfer auf ihrer Hand spazieren ließ, ging ein breites Lachen über Egidias Gesicht, und Tränen sammelten sich in ihren großen dunklen Augen. Doch als habe eine Wolke die Sonne verdunkelt, so trübte sich Egidias Blick jedes Mal, wenn der Kardinal neben Marocia erschien und sie an der Hand nahm.
»Guckst wie eine Xanthippe«, brummte Regnald hinter ihr. Der Kutscher war Egidia gefolgt, ohne dass sie es bemerkt hatte.
»Dachte immer«, parierte sie, »Kutscher laufen nicht gern.«
Regnald fuhr sich verschmitzt über die Glatze und wiegte den Kopf.
»Kommt drauf an, wer mitläuft«, grinste er.
»Ach, Regnald«, seufzte die Amme und griff seine Hand. »Ist ein seltsames Bild, das wir abgeben. Du eine Figur wie ein Stock, ich wie ein Fass. Und die beiden da vorne . . .«
Eine Zeit lang brummte Regnald vor sich hin, unentschlossen, ob er Egidia trösten oder widersprechen sollte. Erst als Sergius und Marocia auf einem Baumstamm rasteten und er mit Egidia im Schatten einer Zypresse wartete, sprach er. »Was ist schon dabei? Der Kerl zeigt ihr Blumen und Geröll. Seit gut drei Jahren macht er das so. Und der Kleinen gefällt’s.«
Egidia blickte zu Boden und zeichnete mit dem Schuh Figuren in den Sand, von denen nicht einmal sie selbst wusste, was sie darstellen sollten. »Wenn’s nur für immer bei Spaziergängen bliebe«, murmelte sie. »Aber in ein paar Jahren . . . Daraus entsteht eines Tages etwas ganz und gar Schlimmes für die Kleine.« Sie klopfte sich mit der Faust an die Brust. »Ich kann’s fühlen, Regnald. Gerade jetzt.«
Regnald schüttelte entschieden den Kopf. »Du bist Amme, darum denkst du nicht klar. Überall siehst du Böses. Ich bin Kutscher, da lernt man die Leut’ kennen, und ich sag dir, der Kardinal würde sein Leben für das Mädchen hergeben.«
Egidia stieß einen gedehnten Seufzer aus. »Ich wollt, es wäre so.«
»Es ist so. Darum gibt’s auch überhaupt keinen Grund, weshalb wir nicht Mann und Frau werden sollten.«
Egidia schreckte auf. Schon einmal, vor zwei Jahren, hatte Regnald ihr diese Frage gestellt, und damals hatte sie abgelehnt, weil sie Marocia nicht verlassen wollte. Theodora, wie viele andere Edle auch, untersagte die Heirat zwischen Dienern ihres Haushalts. Eine Ehe wäre also einem Fortgang gleichgekommen – und damit einer ganz und gar unsicheren Zukunft. Und nun stellte sie der Mann, den sie so sehr mochte, erneut vor die Entscheidung zwischen sich und der Kleinen, die sie wie eine eigene Tochter liebte.
Regnald zupfte einen kleinen Zweig von der Zypresse und überreichte ihn Egidia.
»Viel mehr hab ich nicht«, gestand er. »Aber wenn du auf die Nadeln drückst, riechen sie nach Zitronen. Hab ich rausgefunden. Ist doch auch was wert, oder?«, zwinkerte er.
Egidia tat, was er gesagt hatte. Tief atmete sie den frischen, herben Duft ein, sah zu Marocia hinüber und strich Regnald über Wange und Kinn. Eine Träne, die den Versuch machte, aus ihrem rechten Auge zu kullern, wischte sie rechtzeitig und so unauffällig, wie das mit ihren schweren Armen möglich war, ab. »Bald«, sagte sie ihm mit belegter Stimme. »Warte noch ein wenig. Bitte.«
Der abgedunkelte, schmucklose Raum, in dem Ageltrudis lag und in dem noch nicht einmal ein wärmendes Feuer prasselte, wirkte wie ein Vorgeschmack auf die Gruft, die man für sie bereithielt. Ihr gedehntes Stöhnen vermischte sich unangenehm mit dem Gesang der Mönche, der aus einer benachbarten Sakristei durch die Gänge des Lateran hallte, und der beißende Gestank brauner Salben und dunkelgrüner Tinkturen kündete von Verfall und Tod. Johannes war der Einzige an ihrer Seite. Er zeichnete mit Asche ein Kreuz auf die Stirn der Herzogin, dann nahm er sich die Zeit, diese Herrscherin über Länder und Seelen
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