Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
Moment milderte er seinen Schlag ab und legte stattdessen seine erhitzte Wange an den kühlen Stein. Eine Weile blieb er so, sprachlos, bewegungslos, bis einige Geräusche aus dem oberen Stockwerk ihn aufhorchen ließen. Zunächst vernahm er aufgeregtes Gemurmel, und dann drang das Schreien eines Säuglings durch die ganze Villa.
Wie hatte er das vergessen können?, fragte er sich. Gestern Abend, Theodoras Geburtswehen. Er war selbst losgeritten, um eine Hebamme herbeizurufen. Stundenlanges Warten und Wachen vor dem Gemach seiner Frau . . . dann die Müdigkeit. Es war also alles gut gegangen.
Ein Lächeln zog über sein Gesicht, als er den Säugling nun schreien hörte. Ja, er wusste, dass das Kind nicht seines war. Theodora hatte es ihm kurz nach Beendigung des Aufstands gestanden, aber es war ihm schon vorher klar gewesen. Die enge Beziehung seiner Frau zum Erzbischof von Ravenna war ihm nicht verborgen geblieben. Und dennoch: noch einmal ein kleines Kind in diesem Haus zu haben, in den Armen zu halten, aufwachsen zu sehen . . . Er würde einen Neuanfang mit Theodora versuchen, die Rangeleien um Politik ein für allemal vergessen. Er hatte Theodora doch einmal geliebt, er könnte sie wieder lieben. Dieses Kind, dachte er, würde auch seines sein; es verdiente ein Zuhause. Und
er
brauchte ein Zuhause. Als er die Stufen ins obere Geschoss nahm, waren seine Schritte nicht mehr müde und schwer wie sonst, sondern fast jugendlich.
Doch oben am Treppenabsatz angekommen, stieß er auf Johannes. Der junge Erzbischof hielt den Säugling auf dem Arm und hatte einen Teil seines Gewandes dafür benutzt, ihn einzuhüllen. Theophyl konnte noch nicht einmal sehen, ob es ein Junge oder ein Mädchen war. Wortlos, ohne einen Gruß, ohne eine Miene zu verziehen, schritt Johannes an Theophyl vorbei, die Stufen hinunter und dann aus dem Haus.
Theophyls Gesicht zitterte. Er brauchte eine Weile, ehe er seinen Blick von dem Punkt, an dem Johannes verschwunden war, losreißen konnte. Gebeugt, wie gegen einen starken Wind laufend, zwang er sich bis zu Theodoras Gemach. Die Tür stand offen, doch er ging nicht hinein. Seine Frau lag auf ihrem Bett. Ihr Nachtgewand war gewechselt und die Laken ausgetauscht worden. Die Morgenluft strömte durch weit geöffnete Fenster herein und hatte bereits jeden Geruch nach Blut und Schweiß vertrieben. Nur die verschmierten Schürzen einiger Dienerinnen erinnerten daran, dass hier vor wenigen Momenten erst ein Kind geboren worden war.
Endlich begegneten Theodoras Augen den seinen, die noch immer mit einem Rest von Hoffnung und Erwartung leuchteten, aus denen die Zukunft noch nicht gewichen war. Doch sogleich wandte Theodora sich mit einem erschütternden Ausdruck von Verachtung von ihm ab.
»Ihr habt vorhin nach Wasser gerufen, Herr«, sprach eine Dienerin ihn von der Seite an. »Wir waren zu beschäftigt. Soll ich Euch jetzt einen Krug Wasser bringen?«
Theophyl beachtete sie nicht. Ohne den Blick von seiner Frau zu wenden, sagte er leise: »Wein. Viel, viel Wein.«
5
Egidia hob Marocia vom Wagen herunter und stellte sie keuchend auf dem Boden ab. Schwer war die Kleine geworden, dachte die Amme, oder besser, sie war älter geworden. Wenn sie das schlanke und schon hoch gewachsene Mädchen heute zu heben versuchte, konnte sie kaum glauben, dass sie sie einst in den Armen gehalten und genährt hatte. Der Kalender behauptete, dass das etwas mehr als zehn Jahre her war, doch Egidias Gefühl hätte schwören können, es sei noch keine Jahreszeit seither vergangen.
Sie strich Marocias gelbes, mit roter Borte gesäumtes Kleid glatt, umarmte sie und sagte dann, an Kardinal Sergius gewandt. »Bitte, ehrwürdiger Kardinal. Sie ist fertig für den Spaziergang.«
Der Kardinal lächelte beinahe wie eine Mutter, als er Marocia an der Hand nahm und mit ihr vorausspazierte.
Egidia folgte den beiden in einiger Entfernung, wobei sie darauf achtete, dass kein Fremder ihrem Schützling zu nahe kam. Ein Stück weiter beobachtete sie zwei junge Männer, die merkwürdig herumschlichen, aber Egidias aufmerksame Skepsis ließ nach, als sie erkannte, dass die beiden nur damit beschäftigt waren, die Steine einer niedrigen Mauer abzutragen. Sie erinnerte sich daran, als kleines Kind selbst einmal mit ihrem Vater einige Steine vom Palatin geholt zu haben, um sie zur Ausbesserung ihres Hauses zu verwenden. Der Palatin, das war für sie und die meisten Römer nur ein besserer Steinbruch.
Für den Kardinal scheinbar nicht,
Weitere Kostenlose Bücher