Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
sich zum Karfreitagsfest des Jahres 954 in Alberics Villa zusammenfand. Weder die klösterlich anmutende Kargheit der räumlichen Ausstattung noch der vermeintlich religiöse Anlass der Zusammenkunft konnten darüber hinwegtäuschen, dass ein sehr weltliches Problem in der Luft lag. Jeder der Anwesenden wartete jedoch darauf, dass ein anderer dieser Angelegenheit Gestalt gab.
Alberics gesundheitlicher Zustand hatte sich weiter verschlechtert. Er hielt sich zwar noch immer auf den Beinen, aber selbst die Abendandacht in der Petersbasilika hatte er nur mühsam überstanden. Jeder von Marocias Anläufen in letzter Zeit, ihn zu einem weniger asketischen Lebenswandel zu überreden, war brüsk von ihm zurückgewiesen worden.
An jenem gewittrigen Abend saß Alberic mit aschgrauem Gesicht und erloschenen Augen vor dem Kamin; man meinte nicht, einen lebendigen Siebenunddreißigjährigen vor sich zu haben, und Marocia überwand ihre mütterlichen Hoffnungen und gestand sich erstmals ein, dass ihr Sohn dieses Jahr nicht überleben würde.
Aus Capua waren Alazais und Priscian gekommen, doch sie spürten, dass eine Auseinandersetzung in der Luft lag, und unterhielten sich nur untereinander oder mit Alberics jungen Töchtern Paulina und Cecile.
Marocias jüngster Sohn Crescentius lehnte etwas abseits vom Licht an einem der Fenster, nur dann für Augenblicke sichtbar, wenn ein Blitz die Nacht durchzuckte. Bald nach seinem glanzlosen Intermezzo bei Berengar in Verona war er wieder nach Rom zurückgekehrt und ging seither der ganzen Familie aus dem Weg, vor allem aber Marocia. Niemand wusste so genau, was er machte, aber heute war er wie aus dem Nichts aufgetaucht, ganz so, als wisse er, dass an diesem Tag die Pfründen verteilt würden. Heute ging es um Rom.
Das war auch der Grund, weshalb Alberics Sohn Octavian im Raum auf und ab lief; er wäre allerdings am liebsten davongelaufen, ahnte er doch, dass vor allem sein Name in den Köpfen der anderen spukte: Er war der mutmaßliche Erbe seines Vaters, worauf er allerdings gerne verzichtet hätte.
»Gibt es etwas Neues aus Byzanz?«, fragte Alazais, teils um die beklemmende Wortkargheit der anderen zu durchbrechen, teils aus ehrlicher Sorge. Kürzlich war die Meldung eingetroffen, es habe eine Palastrevolution gegeben und die drei jungen Kaiser seien zugunsten des vierten, des alten und arglosen Konstantin VII., gestürzt worden.
»Nicht mehr, als wir schon wissen«, seufzte Marocia. »Eudoxia und ihre kleine Tochter Theophanu sind wohlauf, dürfen aber Byzanz nicht verlassen. Stephanos ist in ein Kloster verbannt worden. Es hätte schlimmer kommen können, wäre Konstantin nicht eine so gutmütige Seele.«
»Ich bin sicher«, tröstete Alazais, »dass ihnen auch weiterhin nichts geschehen wird. Immerhin ist Konstantin mit ihnen verschwägert.«
»Schwager und Schwägerin bedeutet bei denen nicht viel«, wandte Priscian ein, zog sich damit aber nur einen heimlichen Fußtritt seiner Gemahlin zu.
»Schluss«, rief Alberic. »So traurig Eudoxias Schicksal ist, wir in Rom haben andere, dringendere Probleme zu lösen. Und zwar jetzt.«
Diese Ankündigung löste sofort subtile Aufregung aus. Crescentius richtete sich aus seiner gelangweilten Position am Fenster ein wenig auf, Octavian blieb stehen, jeder spähte zum Sessel, in dem der Prinzeps saß.
»Ich habe mir lange Gedanken gemacht«, sagte Alberic mit bemüht fester Stimme, »wie Rom auch nach meinem . . . wie wir Rom auch in Zukunft regieren können. Dabei habe ich alle Möglichkeiten durchgespielt, keine außer Acht gelassen, niemanden von euch vergessen. Aber am Ende kann es nur eine Erfolg versprechende Lösung geben.«
Jeder hing an seinen Lippen. Selbst Marocia konnte sich nicht erinnern, wann sie zum letzten Mal so gespannt auf ein Wort gewesen war wie in dieser Minute vor dem mild vor sich hin brennenden Kamin.
»Ich möchte«, begann Alberic jedes Wort überdeutlich aussprechend, »dass Octavian nach dem Tod von Agapet II. Papst wird. Und ich werde auch die Kardinäle auf diesen Kurs einschwören.«
Niemand erwiderte zunächst etwas, obwohl jedem der Anwesenden ein Kommentar dazu auf der Zunge lag. Octavian war sechzehn Jahre alt, was seiner päpstlichen Autorität gewiss nicht förderlich sein würde. Doch selbst, wenn man seine Jugend außer Acht ließ, war er nicht zum Regieren geschaffen. Ja, er war ein höflicher Junge, der sich freute, wenn er seiner Großmutter den Arm zur Stütze hinhalten durfte, der
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