Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
ich dich hierher bestellt habe.« Er strich sein durch das kurze Gerangel verknittertes Gewand glatt und nahm wieder seine ursprüngliche Position am Fenster ein. Mit seiner üblichen zynischen und unterschwellig aggressiven Stimme setzte er die Unterhaltung fort. »Er liebt dich, oder?«
Ganymed senkte den Kopf. »Ich glaube, ja.«
»Und hat er vor dir schon andere Männer geliebt?«
»Geliebt oder
geliebt
?«
»Beides.«
»Er ist sehr schüchtern. Ich bin für ihn der Erste.«
»Fein«, knurrte Crescentius zufrieden. »Dann kannst du mit ihm machen, was du willst. Oder was ich will, besser gesagt.«
»Und was willst du?«, fragte Ganymed ein wenig genervt von dem Herumgerede seines Auftraggebers.
»Langsam, mein Kleiner, langsam. Nichts übereilen. Wir werden Octavian ganz sacht auf unsere Seite bringen, so, dass er es fast gar nicht mitkriegt. Und dann . . .« Crescentius unterbrach sich selbst. Er blickte über die Schulter zu Ganymed und grinste. »Es wäre doch schade, wenn er weiterhin nur dich zur – wie sagtest du? – zur Unterhaltung hätte. Du solltest diesem einsamen Papst die anderen Schmuckstücke deiner Zunft nicht länger vorenthalten.«
41
Anno Domini 955
Die Kapelle inmitten der Engelsburg war von Marocia nach ihrem Einzug geschaffen worden, aber auf den ersten Blick sah sie wie eine Notlösung aus. Ohne Fenster, die Sonnenlicht hereingebracht hätten, achteckig, nur etwa sechs Schritte im Durchmesser, dafür aber mit einer acht Meter hohen Kuppel versehen, war sie zweifellos der ungewöhnlichste Betraum ganz Italiens. Die Wände waren steingrau und wenig geschmückt, die Kuppel düster, der Altar ein Steinklotz, wie ihn die Pyramidenbauer verwendet haben mochten, aber es war gerade diese Askese der Mittel, die dem Raum jene mystische Ausstrahlung verlieh, die Marocia mit dem Alter immer mehr schätzte.
Sie kam allerdings selten hierher, und wenn doch, dann nicht, um an Gottesdiensten teilzunehmen – die hier ohnehin nicht stattfanden –, sondern einfach, um allein mit sich selbst die Atmosphäre zu genießen. An diesem Tag jedoch war alles anders. Lando hatte sie an der Hand genommen und quer durch die Engelsburg zur Kapelle gezogen. Dort erwartete sie eine Überraschung: Hunderte von Kerzen und Öllampen, die sich wie ein Teppich auf dem Boden ausbreiteten, erfüllten den Raum mit ihrem warmen Licht. Vom Eingang führte eine schmale Gasse bis zum Altar, der jedoch von einem gläsernen Wandschirm verdeckt wurde. Eine Fackel dahinter offenbarte die prächtigen Farben des biblischen Motivs: Die Hochzeit von Kanaan leuchtete in grünen und goldenen Farben.
Marocia schritt sprachlos zwischen den Kerzen entlang, und ihre Hand fuhr vorsichtig über das fragile Glas des Wandschirms. Mit ebenso staunendem wie fragendem Blick wandte sie sich zu Lando um.
»Dein Enkel hat selbst die Skizzen zu dem Motiv gemacht«, erklärte er. »Er ist wahrhaftig ein Künstler.«
»Aber was . . .? Warum? Ich meine . . .«
Lando schmunzelte. Es kam selten vor, dass seine Geliebte nicht die richtigen Worte zu setzen wusste. Auf seinen Ruf hin betrat ein Flötenspieler die Kapelle und blies eine süßliche Melodie, und ihm folgte ein Pater. Lando ging auf Marocia zu, legte seine Hände an ihre Wangen und fragte: »Meine Katze, willst du mich heiraten?«
Sie sah ihn an. Ihr Kopf zitterte. Für einen Moment war nicht zu erkennen, ob sie im nächsten Moment lachen oder weinen würde. Sie tat nichts dergleichen, sondern erwiderte Landos Blick mit der gleichen Liebe und Festigkeit. Dann nickte sie.
»So soll es sein«, hauchte er, und sie wiederholte seine Worte. Dann fiel ihr ein: »Aber wir brauchen Zeugen.«
Auf seinen erneuten Ruf hin kamen Priscian und Alazais sowie Blanca und Suidger von Selz lachend hinter dem Wandschirm hervor, und von draußen hüpften ihre Enkelinnen Paulina und Cecile herein. Ein großes und helles Durcheinander, wie es nur die Wiedersehensfreude schaffen kann, beherrschte eine Zeit lang die Szenerie. Alle fielen sich in die Arme und tauschten freundliche Worte und Gesten aus, bis es dann der ungeduldige Lando war, der nach einer Weile versuchte, ein wenig Ordnung zu schaffen. »Ich warte schon so viele Jahre auf diesen Moment, aber glaubt mir, jetzt halte ich es keine zehn Atemzüge lang mehr aus.«
Die Kapelle füllte sich mit Gelächter. »Aber einer fehlt doch noch«, wendete Marocia ein. Sie blickte sich suchend um. »Octavian.«
Suidger von Selz räusperte sich. »Eigentlich
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