Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
einzelne Wort wie ein Gewicht auf die Waagschale werfend, erklärte sie: »Die Tatsache, dass Königin Adelheid mir derart diplomatisch von diesem Vorfall berichtet, bedeutet natürlich, dass Otto jetzt insgeheim die förmliche Bestätigung durch dich erwartet. Truppen allein machen keinen Kaiser.
Du
musst ihn nach Rom einladen und krönen.«
Ein drittes Mal zuckte Octavian mit den Schultern. »Wenn es Euch Freude bereitet, Großmutter . . .«
Marocia konnte zwar kaum glauben, mit welcher Ungerührtheit ihr Enkel eine Entscheidung dieser Tragweite traf, aber wenigstens war es die richtige Entscheidung. Sie bedeutete die Etablierung eines abendländischen Imperiums, vermutlich mit Rom als Hauptstadt, und Marocias Freude darüber war derart groß, dass sie nahe daran war, sich einen Kelch voll Wein zu nehmen und an Ort und Stelle mitzufeiern.
Doch noch ehe sie Zeit hatte, ihrem inneren Jubel Ausdruck zu geben, fuhr die düstere Stimme ihres Sohnes von hinten dazwischen.
»Das bedeutet Krieg«, prophezeite Crescentius.
Marocia wandte sich um und versenkte ihren Blick in die braunen Augen ihres letzten Sohnes, die so schön hätten sein können, wären sie nicht von Feindschaft erfüllt gewesen.
Octavian hörte auf zu kichern und stand mit Ganymeds Hilfe auf. »Was meint er damit? Wieso Krieg? Ich will keinen Krieg.«
»Es wird auch keinen geben«, entgegnete Marocia, ohne den Blick von Crescentius zu nehmen.
»Aber Crescentius hat von Krieg gesprochen«, jammerte Octavian, der von keinem der beiden Kontrahenten beachtet wurde.
»Byzanz«, verkündete Crescentius bedeutungsschwer und genüsslich. »Der byzantinische Kaiser wird keinen gleichrangigen Würdenträger neben sich dulden, er wird Krieg gegen Otto führen. Und den Papst, der es wagte, Otto ohne seine Erlaubnis zu krönen, wird er absetzen.« Endlich löste Crescentius die Augen von seiner Mutter, um seinen Neffen ebenso eindringlich anzublicken. »Er wird dich zertreten, Octavian. Dann ist all das hier«– er machte eine umfassende Geste –»Vergangenheit und Geschichte für dich.«
»Selbst wenn es einen Krieg geben sollte, was höchst zweifelhaft ist, wird Otto ihn gewinnen«, stellte Marocia klar. »Sein Reich ist das stärkere.«
»Da bin ich anderer Meinung.«
»Ich beschäftige mich seit einem halben Jahrhundert mit diesen Dingen, und du seit drei Lidschlägen. Ich weiß einfach, dass Byzanz sich überlebt hat und dass jetzt etwas Neues kommen muss.«
»Tatsache ist«, widersprach Crescentius, »dass Ihr das nicht wissen
könnt
. Ihr schickt Euren Enkel in ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang, setzt sein Amt und Leben aufs Spiel . . .«
»Bei Gott«, fauchte Marocia, »das Leben ist immer ein Spiel oder sollte es wenigstens sein. Nach allem Ermessen kann man in diesem Fall sagen, dass kaum eine Gefahr . . .«
»Ich mache es nicht«, unterbrach Octavians zaghafte Stimme den Streit. Er stellte sich an die Seite Ganymeds und ließ sich von ihm in den Arm nehmen. »Ich werde Otto nicht zum Kaiser machen. Crescentius hat Recht. Ich habe bei einer Krönung Ottos nichts zu gewinnen, aber viel zu verlieren.«
Marocia wusste in diesem Augenblick, dass sie Octavian nicht mehr überzeugen konnte. Er war ein zutiefst verängstigter und verzärtelter Junge, ohne Visionen und deshalb auch ohne Bereitschaft zu Experimenten. Wahrscheinlich bereitete ihm schon die theoretische Möglichkeit eines Risikos schlaflose Nächte. Bei solchen Menschen reichte bereits eine einzelne kritische Stimme in einem Chor des Zuspruchs, um sie in Untätigkeit und sogar Lethargie verfallen zu lassen. Jedes weitere Wort würde nur in den Rauch gesprochen sein, der sie umgab.
»Damit Ihr richtig versteht«, fügte Octavian entschuldigend hinzu. »Ich stelle mich weder gegen Otto noch zu ihm. Ich halte mich bloß heraus.«
Marocia schüttelte müde den Kopf. Sie ersparte es sich, Octavian zu erklären, dass man in diesem Fall nicht
nichts
tun konnte, dass die Verweigerung der Krönung bereits eine Verschlechterung der Beziehungen des Patrimoniums zum italienisch-deutschen Königreich bedeutete, mit allen Folgen, die daraus erwachsen konnten.
»Wie heißt dieses Spiel?«, fragte sie Crescentius. »Mutter gegen Sohn?«
Er nickte. »Bis zum Ende.«
Berengar von Ivrea zerdrückte das Pfefferkorn wie eine Laus zwischen Daumen und Zeigefinger und streute die Teile über die Erdbeere in seiner anderen Hand. Crescentius und der Mann in seiner Begleitung staunten, denn nicht
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