Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
Kerzen lockten allerlei Getier in den Raum, aber Marocia schloss das Fenster nicht. Weiter und weiter wiegte und bog sie sich, packte den Saum ihres leichten Kleides, wedelte mit ihm, schwang ihre Arme in eleganten Wendungen durch die Luft. Beiläufig zog sie ihre Schuhe aus, tanzte barfuß und huschte, noch immer mit geschlossenen Augen, von links nach rechts und wieder zurück. Sie kannte ihr Gemach, wusste, wo jede Truhe, jede Kommode stand. Der Luftzug ebbte plötzlich wieder ab, doch Marocia störte das nicht. Sie hörte nur die Musik, nichts anderes. Endlich einmal tanzen, endlich einmal unbeschwert fröhlich sein, nicht nachdenken, nicht umherschleichen. Wie lange war das her . . .
Sie spürte etwas an ihrem Haar. Zuerst dachte sie, der Wind spiele mit den Strähnen, doch dann merkte sie, dass es eine Hand war. Ruckartig wandte sie sich um. Vor ihr, so nah, dass sie seinen Atem spürte, stand Johannes. Sein Blick aus tiefblauen Augen fesselte sie. Sie hatten nichts Bedrohliches, im Gegenteil, sie waren halb geschlossen, blickten verführerisch. »Wie eine Salome«, hauchte er und küsste flüchtig Marocias Lippen. »Du bist schön.« Er streichelte mit seinen Fingerspitzen über ihr Kinn. »Niemand hat dir das je gesagt, nicht wahr? Deine alternde Mutter ist eifersüchtig auf dich. Sie fürchtet deine Schönheit. Aber ich, ich sage es dir. Ja, du bist jung und schön. Du bist temperamentvoll und unergründlich. So müssen Frauen sein.«
Mit zitternden Lippen strich er ihre Wangen entlang, und seine Hände umfassten ihre Taille. Einige Atemzüge lang bebte Marocia vor Stolz darüber, dass der Geliebte ihrer Mutter sich von dieser ab- und ihr zuwandte. Johannes hatte Recht. Noch niemand hatte ihr je solche Komplimente gemacht, nicht ihre Mutter, die wohl tatsächlich eifersüchtig auf sie war, nicht Egidia, von der sie nicht ihres Aussehens wegen geliebt wurde, und auch nicht Kardinal Sergius, der früher, als Theodora noch Besuche erlaubt hatte, um solche lobenden Worte immer verlegen war. Nun derart hofiert zu werden – von einem solch schönen und reifen Mann sogar, einem erfahrenen Liebhaber –, kam Marocia wie ein Sieg vor.
Er strich sich rasch die Haare aus der Stirn, öffnete seinen breiten Mund und küsste sie. Für einen Moment war sie nicht fähig, zu überlegen oder zu handeln. Sie spürte nur seine Lippen, seine Zunge, seine Umarmung. Ein Schauer durchlief sie, und sie wünschte sich, er möge nie enden, immer und ewig durch sie hindurchrauschen. Doch im nächsten Augenblick – sie wusste zuerst nicht, warum, es geschah ganz von selbst – stieß sie Johannes zurück. Jetzt erst fing ihr Kopf wieder an zu arbeiten. Hatte sie diesen Mann als Kind nicht immer verabscheut? Gehörte er nicht zur byzantinischen Fraktion? Hatte sie über seine seltsamen Liebesspiele mit Theodora nicht verächtlich die Nase gerümpft?
»Geht weg«, bat sie.
»Ich will dich aber«, erklärte er und versuchte erneut, sie zu umarmen.
»Nein!«, rief sie und wand sich.
»Es ist bloß neu für dich. Das legt sich schnell, glaub mir.«
Sie riss sich von ihm los und rannte durch ihr Gemach. Er kicherte, breitete seine Arme aus, scheuchte sie wie ein Wild, ließ sie weder zur Tür entkommen noch zum Fenster gelangen. Als sie in einer Ecke steckte, packte er sie an den Handgelenken. »Versteh doch«, rief er. »Ich liebe dich.«
Das Wort verunsicherte sie. Kein Mann hatte sie bisher geliebt, jedenfalls nicht auf die Art wie Johannes. Fast widerstandslos ließ sie sich von ihm aus der Ecke ziehen. Es war, als sei Johannes ein zweites Mal ins Zimmer gekommen und habe sie überrascht. Gebannt blickte sie in seine strahlenden Augen, als suche sie irgendetwas darin, das ihr wichtig und teuer war. Doch wieder stieß sie ihn zurück.
Johannes versuchte sie mit Gewalt zu küssen, aber ein heftiger Luftzug ließ ihn und auch Marocia aufschrecken und zur Tür blicken. Dort stand Theodora, in einem schillernden dunkelblauen Kleid, erstarrt, mit zuckenden Mundwinkeln. Hinter ihr tauchte Egidia auf und bekreuzigte sich, als sie die Situation erkannte.
Theodoras Augen schleuderten Blitze auf Johannes. »Wir sprechen uns noch!«, rief sie mit zittriger Stimme. Dann drehte sie sich ruckartig um und blickte Egidia an. »Und
wir
sprechen uns
sofort
.«
Am nächsten Morgen verließ Egidia die Villa Sirene für immer. Am Abend zuvor war sie von Theodora dermaßen laut gescholten worden, dass sogar Theophyl aus seinem Rausch
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