Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
Naturwissenschaften, heilige Schriften, antike Literatur . . . Dass Pater Bernard ihr diesen Vorschlag machte, musste einen anderen Grund haben.
»Wollt Ihr, dass ich ins ferne Ostfrankenreich gehe, um mir Einblicke in die nördliche Kultur zu ermöglichen, ehrwürdiger Vater?«
Er schüttelte den Kopf. »Eine solch gefährliche Reise wäre nicht nötig. Auf Drängen des Kardinals Johannes und deiner Mutter hat der Papst vor einiger Zeit im südlichen Patrimonium ein erstes Frauenkloster errichten lassen, Fontana Liri. Dort kannst du dich ganz den Wissenschaften verschreiben.«
»Das kann ich in Rom auch.«
»Aber im Kloster würdest du Frieden finden und wärst sicher vor allem, was das Leben an bösen Überraschungen bereithält«, orakelte er.
»Das will ich nicht.«
»Warum?«
»Es klingt langweilig.«
»Aber Kind . . .«
»Hohe Mauern, ehrwürdiger Vater, und bis ins Kleinste geregelte Abläufe«, seufzte sie. »Das kenne ich zur Genüge. Meinetwegen können die Überraschungen des Lebens lieber heute als morgen kommen. Glaubt mir, ich werde mit ihnen tanzen.«
7
Marocia öffnete mit einer weit ausholenden Bewegung der Arme das Fenster und atmete die laue, schwere Abendluft ein, die über Rom lag. Von ihrem Gemach im Obergeschoss der Villa Sirene aus ging ihr Blick über den ganzen Süden der Stadt, über das mächtige Kolosseum, das Kapitol und die Reste der Kaiserforen. Irgendwo in der Ferne stieg eine kleine Rauchsäule in den dämmernden Himmel, die vermutlich von einem kleinen Brand stammte. Immer wieder fingen in der trockenen Sommerhitze einzelne Pferdeställe oder Garküchen Feuer, aber die Wache der Stadt brachte die meisten rasch zum Erlöschen. Marocia schenkte dem Rauch keine weitere Beachtung, sondern wanderte mit ihrem Blick nun ziellos über den Horizont, kehrte manchmal auf die unbelebte Via Lata zurück, um sogleich wieder den Vogelschwärmen nachzuschauen, die sich wie geheimnisvolle Schriftzeichen gegen die Dämmerung abzeichneten.
»Komm, ich zieh dich um!«, rief Egidias warme Stimme aus dem Gemach.
Marocia wandte sich nicht um. »Nein, Egidia. Ich will noch nicht. Der Abend, weißt du . . . er ist so schön.«
Egidia brummte beifällig, umarmte ihr Mädchen und sagte: »Geh besser ins Bett. Die Herrin ist noch nicht im Hause, und wenn sie dich zur späten Abendstunde am Fenster sieht, wird sie wieder unleidlich. Weißt doch, was sie beim letzten Mal . . .«
»Ja«, unterbrach Marocia gereizt und wölbte die Unterlippe ein wenig nach vorn. »Trotzdem, ich gehe noch nicht schlafen.«
Egidia widersprach ihr nicht. Sie erkannte an Marocias Miene, wann es keinen Sinn mehr machte, mit ihr zu verhandeln. »Gut«, seufzte sie. »Dann bleibe ich bei dir. So kann die Herrin wenigstens nicht über mich meckern, wenn sie sieht . . .«
»Ich möchte allein sein«, sagte Marocia knapp.
»Aber Kind. Weißt doch, die Herrin hat gesagt, dass ich immer dafür sorgen soll, dass du zu später Stunde nicht . . .«
»Bitte«, unterbrach Marocia sie scharf, besann sich aber schnell und umarmte Egidia nun ihrerseits. »Bitte«, wiederholte sie, diesmal sanft. Egidia nickte verständnisvoll, und Marocia sah ihr nach, wie sie mit ihren kurzen, schweren Schritten aus dem Raum stapfte. Dann vertiefte sie sich erneut in den Übergang zur Nacht.
Sie liebte diese wenigen Augenblicke, wenn die Sonne bereits versunken und das Abendrot gewichen war, wenn Grau ganz langsam in Schwarz überging und Stille sich über alles legte. Das war die Stunde, in der jedes Krächzen einer Krähe, jeder Schritt eines Menschen auf dem Pflaster, jedes Rauschen eines Baumes im Wind nach Einsamkeit klang. Heute Abend war es der tragende Ton einer Fidel, der in Marocia träumerische Gefühle weckte. Vermutlich diente das Instrument einer kleinen Abendgesellschaft in einer der benachbarten Villen zur Unterhaltung, und Marocia, die selten Musik zu hören bekam, packte die Lust, auf die besinnliche Melodie einen langsamen, schwingenden Tanz zu vollführen. Zaghaft, mit wenigen kurzen Schritten begann sie.
Sie merkte nicht, dass sich hinter ihr die Tür öffnete. Den dadurch entstehenden leichten Luftzug hieß sie wie eine Erfrischung willkommen, schüttelte ihr Haar und wiegte sich wie eine Baumkrone im Sturm. Sie schloss ihre Augen. Die Fidel spielte nun schneller auf, und so begann auch Marocia, schneller zu tanzen. Sie kannte die neue Melodie, summte sie mit und lächelte. Draußen war es schon dunkel geworden, und die
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