Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
schluckte. »Wie . . . Wie viel hast du schon beisammen?«
»Ein Viertel der Summe, die wir mindestens brauchen.« Seine Stimme war sanft, es war nicht die Stimme eines Übeltäters. Er breitete seine Arme aus, und sie flüchtete in sie hinein. Hier war der einzige Ort, an dem sie sich, jenseits von Gut und Böse, restlos wohl fühlte.
»Aber sobald es für die Herrin unangenehm wird . . .«
». . . hören wir auf«, versprach er und wiegte Damiane wie ein Kind.
11
Es war ein klarer, sonniger Dezembertag, als Marocia zum ersten Mal seit beinahe zwei Jahren wieder unter Menschen ging, und Sergius genoss es, ganz dicht an ihrer Seite zu sein, gleichsam ein Beschützer. Er hatte auf diesem Ausgang bestanden. Aus Gründen, die er nicht zu erraten vermochte, hatte sich seine Geliebte stets gesträubt, allein oder mit ihm Rom zu erkunden. Wie ein ängstliches Reh mied sie es immerzu, ihr Revier zu verlassen, als ob sie jemand einfangen wolle – oder erlegen. Das war natürlich Unsinn, wusste er, denn die Römer waren in der Toleranz päpstlicher Gefährtinnen seit Jahrhunderten geübt. Oder gab es einen anderen Grund für Marocia, sich vor der Welt zu verstecken?
»Schämst du dich meiner?«, fragte er unsicher.
Sie beruhigte ihn sofort. »Aber nein. Es ist nur alles so . . . so ungewohnt für mich.«
Sergius gab sich mit dieser Antwort vollauf zufrieden, ja, sie hätte für ihn nicht besser ausfallen können. Im Grunde war Marocia also noch immer das kleine Mädchen, das er damals auf dem Palatin spazieren führte. Es war unfassbar und zugleich eine glückliche Fügung: Sie kannte noch immer nicht die Stadt, in der sie seit achtzehn Jahren lebte, aber er würde sie ihr nun nach und nach zeigen. Er würde Marocia zum Staunen bringen, sie mit seinem ganzen Wissen beschenken. Etwas Schöneres konnte er sich kaum vorstellen.
Der Markt unterhalb des Kapitols war Ziel dieses ersten Tages. Er war der größte Roms. Bis hinunter zum Marcellus-Theater und dem Tiberufer, auf einer Strecke von dreihundert Schritten, boten Händler ihre Waren feil.
»Von hier ab gehst du besser eine Weile allein«, meinte Sergius. »Wenn ich dabei bin, werfen sich die Leute auf die Knie, grabschen nach meinen Händen und erbitten sich allerlei. Wir hätten kein Vergnügen.«
»Aber Sergius . . .«
»Ein Waffenträger begleitet dich, und Damiane ist ja auch noch da. Nun geh schon. Ich warte hier, und nachher erzählst du mir alles. O weh, was richte ich da an?«, witzelte er. »Wahrscheinlich redest du ununterbrochen bis in die Nacht hinein.«
Seine gute Laune – nicht zuletzt aber auch der Waffenträger – entspannte Marocia, und so tauchte sie ein in das Gewirr der Menschen. Neugierig blickte sie sich nach allen Seiten um. In alten Büchern hatte sie schon früh einiges über Märkte und ihre tausend Kuriositäten gelesen, über Jongleure, Artisten, Schlangenmenschen, die schon seit Jahrhunderten, ja seit grauer Vorzeit durch die Länder zogen. Am meisten hatten sie schon immer die antiken Berichte fasziniert, die das Markttreiben von Rom zu den Zeiten des Römischen Reiches beschrieben. Sie erinnerte sich noch, wie sie in ihrem Gemach in der Villa Sirene saß und den Duft dieser Märkte zu riechen meinte: ägyptisches Sandelholz neben syrischen Zedern, arabischer Sesam, persische Myrrhe und mauretanische Minze dicht an dicht mit britannischem Hirschfett und germanischem Honigwein, ein berauschendes, Schwindel erregendes Gemisch der Ferne und Exotik. Dazu glänzendes Linnen von den Webstühlen Smyrnas, Marmorkacheln aus den Steinbrüchen von Ephesus, Purpurfarben aus Tripolis, kostbar schimmerndes Glas aus Sidon . . . Und zwischen all dem – wie selbstverständlich zwischen den Ständen umherlaufend oder dahinter stehend – Menschen mit brauner und schwarzer Hautfarbe, mit bleichem Haar oder gewaltigem Körperwuchs, mit gefiederten Hüten, farbenprächtigen Gewändern oder Wildschweinfellen.
Doch seltsam: Nichts davon fand sich hier. Wo waren die Gaukler und Ringer, die fremden Gesichter und Gerüche? Artig und stumm trotteten die Menschen die Via hinunter bis zum Tiberufer, vorbei an Kohl und Fisch, Wolle und Hafer, an allem also, was das italische Land hergab, nicht mehr. Und es waren nicht einmal besonders viele Menschen hier. Gewiss, die Einwohnerschaft war von einer Million Menschen zu Roms Glanzzeiten auf nun etwa achttausend gesunken, und zudem hatten rechtzeitig zur kalten Jahreszeit die Pilgerschwärme Rom bereits wieder
Weitere Kostenlose Bücher