Die Herrin der Pyramiden
aufgegeben. Seine Einsetzung als Fürst von Weset musste ein harter Schlag für sie gewesen sein. Für die Königinmutter war die lange Reise in den Süden des Reiches mehr als alle zwei Jahre anlässlich der Horusfahrt völlig unüblich.
Ich traf Tutmosis in Meresankhs Wohnung, als ich ihr Dokumente von Kanefer überbrachte. Es handelte sich um Schriftstücke ihres Sohnes Seneferu, die ich keinem Boten anvertrauen wollte.
»Wie gefällt dir deine Arbeit im Ministerium?«, fragte mich Meresankh, die mit Fürst Tutmosis in ihrem Garten saß.
»Ich trage große Verantwortung, Mutter. Aber ich vermisse die Arbeit auf der Baustelle.« Ich nahm auf einem Stuhl Platz, und eine Dienerin reichte mir einen Becher kühles Bier.
»Nun baust du nicht mehr die Säulen des Himmels, sondern die Säulen der Macht, Prinzessin Nefrit«, sagte Tutmosis.
»Der Architekt des Staates ist Kanefer, mein Fürst.«
Tutmosis, der mich beobachtete wie ein Löwe die Antilope, lachte. »Du bist zu bescheiden, Prinzessin.«
Ich ärgerte mich über seinen vertraulichen Ton. »Im Gegensatz zu anderen kenne ich meine Grenzen.«
Tutmosis wusste genau, wovon ich sprach. »Meine Grenzen, Prinzessin, liegen nur in meinem Herzen, nicht in der äußeren Welt.«
Ich erhob mich, verabschiedete mich von Meresankh und kehrte ins Ministerium zurück. Tutmosis’ Vertraulichkeit mir gegenüber verärgerte mich.
»Hör auf, mich wie ein Möbelstück zu behandeln, Nefrit.« Sarenput wurde zunehmend ungeduldiger, weil wir uns immer seltener sahen. »Du erwartest, dass ich da bin, wenn du dich ausruhen möchtest.«
»Ich erwarte nichts von dir, Sarenput.« Die Bemerkung war scherzhaft gemeint, aber er musste sie missverstehen.
Sarenput lag auf dem Bett in meiner Villa. Er hatte in den Stunden, in denen er auf mich gewartet hatte, bereits eine Karaffe mit Traubenwein geleert. »Und was erwartest du dir von Kanefer?«
»Bist du betrunken, Sarenput? Ich verstehe deine Bemerkung nicht!« Ich zog die Träger meines Leinenkleides über die Schultern und ließ es zu Boden fallen. Dann glitt ich neben ihm zwischen die kühlen Laken und küsste ihn auf den Mund.
»Ich habe euch mehrmals spätnachts zusammen aus dem Ministerium kommen und zum Palast gehen sehen.«
Ich nahm ihm den Becher aus der Hand und stellte ihn auf den Tisch neben dem Bett. »Wir haben noch spät gearbeitet. Es ist unglaublich viel zu tun.« Ich ließ meine Hände über seine Haut gleiten. Sarenput lag regungslos mit geschlossenen Augen und ließ mich gewähren. Meine Lippen folgten meinen Händen. Langsam schob ich das Laken nach unten.
»Euer Wortwechsel schien sehr … vertraut zu sein.«
»Was willst du andeuten, Sarenput?«
Meine Hände wanderten über seinen festen Bauch nach unten. Ich spürte seine Erregung, während ich ihn ansah.
»Hast du eine Affäre mit Kanefer?«
»Wie kommst du dazu, mich zu beobachten?«
»Ich habe auf dich gewartet. Du kommst in den letzten Wochen nur selten zu unseren Treffen.« Dann beugte er sich über mich, als wollte er mich küssen. »Ich will dich noch etwas fragen.«
»Was?«
»Das Kind, das du verloren hast … es war nicht von Rahotep, nicht wahr?«
»Nein.« Bevor ich überlegen konnte, wie viel von der Wahrheit ich ihm zumuten sollte, hatte er sich von mir abgewandt.
Der König kam einen Tag vor seinen Truppen in Mempi an. Ich hörte die Unruhe auf dem großen Platz vor dem Palast und ging zum Fenster meines Arbeitsraumes. Seneferus Streitwagen donnerte über den Platz, um vor dem Tor zum Stehen zu kommen. Der König sprang ab. Er trug eine einfache Lederrüstung, einen weißen Leinenschurz und Ledersandalen. Das einzige Zeichen seines Ranges war die blaue Krone.
»Ein bedeutender Sieg in Libyen, Majestät!« Kanefer war noch außer Atem. Ein Bote hatte uns sofort zum König befohlen.
»Schmeichele mir nicht, Wesir!« Seneferu stand hinter seinem Schreibtisch und blätterte durch die Dokumente, die Kanefer ihm vorgelegt hatte. Noch immer trug er den staubbedeckten Leinenschurz und Sandalen.
»Das ist nicht meine Absicht. Ich bin nur glücklich, dass die Unruhen im Westen niedergeschlagen sind, da uns möglicherweise Auseinandersetzungen im Osten erwarten.«
Seneferu sah auf. »Glaubst du, dass mein Brief an König Sargon zu deutlich war?«
»Er war nicht in der Sprache der Diplomatie verfasst, Majestät.«
»Wie hätte ich ein Nein klarer ausdrücken sollen?«
»Die Kunst der Diplomatie besteht nicht in ihrer
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