Die Herrin der Pyramiden
verloren.« Und meine Mutter, meinen Vater und den Mann, den ich jahrelang für meinen Vater hielt.
Ich wartete auf kein Zeichen von ihm und nahm auf einem der Stühle Platz.
»Ninsun war der Garant des Friedens! Es war unerfreulich genug, dass Seneferu meine Schwester mondelang wie eine seiner Nebenfrauen behandelt hat, statt sie zur Königin zu machen, wie mein Vater es von ihm verlangt hatte!«, fauchte Urnammu.
»Verlangt? Sargon hatte Seneferu gebeten …«
»Mein Vater bittet nicht!«, unterbrach er mich.
Dann besann er sich und setzte sich zu mir. Ein kuschitischer Diener brachte uns eine Karaffe Wein und zwei Becher. »Wein aus Akkad!«, sagte Urnammu und leerte seinen Becher.
Den Wein abzulehnen wäre eine Beleidigung Urnammus gewesen. Ich schwieg eine Weile und trank einen Schluck. »Wie wird dein Vater auf den Tod seiner Tochter reagieren?«
»Ninsun ist ihm egal, sie war nur eine Frau. Mein Vater hätte für die Fortsetzung der Dynastie gern mehr Töchter gehabt, die er hätte verheiraten können, aber meine Mutter hat ihm nur Ninsun geboren. Ninsun war für ihn ein Spielstein auf dem Spielbrett der Diplomatie. Aber eben ein sehr wichtiger Stein. Er wird Kemet überrennen und erobern.«
»Wegen Ninsuns Tod während der Geburt ihres Sohnes?«
»Nein, weil er es immer schon wollte.«
»War es nicht seine Idee, Ninsun mit Seneferu zu verheiraten?«
»Nein, das war meine Idee, Nefrit. Ich habe lange auf meinen Vater einreden müssen, um ihn zu überzeugen. Meine Brüder Rimusch, Manischtusu und Mesilim sind mit dem Schwert in der Hand geboren worden. Ich nicht! Ich glaube, dass eine Eingliederung von Kemet in das Reich meines Vaters keinen Sinn macht. Die Kulturen sind zu unterschiedlich. Kemet sollte Vasallenstatus erhalten.«
Maatkare und Ti erreichten die Grenzfestungen innerhalb von zwei Wochen. Sinaitische Späher hatten den Sumerern die Truppenbewegung gemeldet, und Rimusch kam den beiden Botschaftern entgegen, um sie abzufangen, bevor sie sumerisches Gebiet betraten. Nachdem Sargons Sohn über den Tod seiner Schwester informiert worden war, sandte Maatkare einen Brief.
»Prinz Maatkare, General, an Prinz Kanefer, Wesir. An der Grenze des Reiches unseres Vaters habe ich Prinz Rimusch getroffen. Er lagert südlich von Edom mit einem Truppenkontingent von über fünftausend Männern und Streitwagen. Das Regiment ist schwer bewaffnet, hervorragend verproviantiert, mit genug Ersatzpferden und Rindern. Urnammus Bote scheint Rimusch nicht getroffen zu haben, denn er war überrascht über die Nachricht vom Tode seiner Schwester. Der Bote scheint den direkten Weg in Sargons Feldlager genommen zu haben, das sich weit im Südosten seines Reiches befindet. Nach vier Stunden brach Rimusch heute die Verhandlungen ab. Minister Ti und ich werden sehen, was wir morgen erreichen können. Gruß, Maatkare.«
Ich brachte Maatkares Nachricht zu Seneferu. Er las den Brief seines Sohnes aufmerksam durch, während er in seinem Arbeitsraum langsam auf und ab ging. Er war gerade erst von den Morgenriten im Tempel zurückgekehrt und trug noch den Hohepriesterlichen Ornat mit langem Faltenschurz und Leopardenfell über der Schulter. Ich beobachtete ihn von der Tür aus, als er den Papyrus zusammenrollte. Er blieb vor mir stehen. »Wie denkst du darüber, Nefrit?«
»Das solltet Ihr Kanefer fragen. Er ist Wesir.«
»Ich kenne seine Meinung. Ich frage dich.«
»Ich kenne zwei Söhne Sargons, Mesilim und Urnammu. Urnammus Schilderungen nach wurde Rimusch mit dem Schwert in der Hand geboren. Bei aller Kompetenz Minister Tis als Kriegsminister ist er doch nicht der richtige Verhandlungspartner für Rimusch. Ihm fehlen Verhandlungsgeschick und Durchsetzungsvermögen.«
»Ich hätte dich schicken sollen!«, sagte Seneferu ernst. Dann ergriff er meine Hand. »Wie siehst du unsere Zukunft, Nefrit?«
»Ein Krieg wird unvermeidlich.«
»Ich meinte nicht die Zukunft von Kemet, sondern unserer Beziehung.«
»Sie darf keine Zukunft haben, Majestät.«
So sehr ich mich nach seiner Liebe sehnte: Ich wollte meine Freiheit nicht aufgeben!
Drei Tage später traf ein weiterer Brief von der Grenze ein:
»Prinz Maatkare an Wesir Kanefer. Ich bringe unserem Vater keine guten Nachrichten von der Ostgrenze. Rimusch hatte vor zwei Tagen die Verhandlungen abgebrochen und einen Boten an seinen Vater entsandt. Weiß Thot, wie lange der Bote unterwegs sein wird. In der Zwischenzeit werden Ti und ich als Gäste betreut.
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