Die Herrin der Pyramiden
gebrochen. Der Hofarzt Meru kümmerte sich um die Opfer. Alle Leichen, die gefunden wurden, waren grausam entstellt, zerquetscht von der Masse der Steine, zerdrückt von der Gewalt der niederstürzenden Blöcke.
Kamose war nicht unter den Geretteten. Er würde unter den Schuttmassen wohl niemals gefunden werden.
Er hatte sein Grab in der Pyramide gefunden.
Noch am gleichen Abend rief Seneferu seinen Obersten Bauleiter, Wesir Kanefer, und mich als Verantwortliche für die Knickpyramide von Mempi zu sich. Seneferu saß an seinem Schreibtisch auf dem Oberdeck der Sonnenbarke und starrte hinüber zur Ruine der Pyramide. Die Staubwolken hatten sich seit dem Vormittag noch nicht gelegt.
»Kann so etwas noch einmal passieren?«, war seine erste Frage.
Weder Kanefer noch ich antworteten. Wir wussten keine Antwort.
»Kanefer?«
»Ich weiß es nicht, Majestät.«
»Nefrit?«
»Kamose hatte die Steinblöcke von der Basis bis zur Spitze in horizontalen Lagen verlegt, im Gegensatz zu den nach innen geneigten Lagen im unteren Teil der Knickpyramide, die dort die Grabkammer gesprengt haben. Das Problem war die Befestigung der Außenverkleidung an der ursprünglichen Stufenpyramide. Und der Neigungswinkel, vor dem Kamose Nefermaat bereits vor achtzehn Jahren gewarnt hatte.«
»Ich erinnere mich.«
»Die Stufenpyramide ruhte trotz des steilen Neigungswinkels noch in sich selbst. Aber sobald die Stufen mit einer glatten Außenhülle verkleidet wurden, waren im Inneren der Pyramide andere Kräfte am Werk, die auf die einzelnen unregelmäßig geformten Blöcke wirkten. Kamose hat Euer Grabmal in kürzester Zeit unter finanziellem Druck gebaut. Die Steinblöcke waren aus den Steinbrüchen gebrochen und nur eilig bearbeitet worden. Ich habe mir einige Quader, die nicht völlig zertrümmert waren, angesehen. Sobald die Oberfläche der Steinquader Unregelmäßigkeiten aufweist, nimmt die Zahl der Berührungspunkte zwischen den Blöcken erheblich ab, und an den verbleibenden Kontaktstellen kann der Druck anwachsen, bis er groß genug wird, die Quader zerplatzen zu lassen wie die Schalen eines rohen Eis. Das Mauerwerk gerät in Bewegung, die Blöcke verrutschen, die Steine bewegen sich in die Richtung des geringsten Druckes. Pyramiden dieser Größe neigen zur Selbstzerstörung!«
»Nun bin ich der stolze Besitzer von zwei gigantischen Ruinen. Was soll ich tun? Mein Weg ins Jenseits ist mir versperrt.«
»Es liegen Euch Pläne für eine Pyramide vor, Majestät!«, erinnerte ich ihn.
»Du willst eine dritte Pyramide bauen, Nefrit?«
»Kamose hätte sie für Sarenput gebaut. Ich baue sie für Euch.«
»Wie viele Jahre wird sich die Bauzeit hinziehen?«
»Fünfzehn Jahre.«
»Dann werde ich neunundfünfzig Jahre alt sein, Nefrit. Falls ich so alt werde. Mein Vater Huni starb mit achtundvierzig Jahren.«
»Ihr seid nicht Huni, Majestät!«, sagte Kanefer.
»Die Pyramide wird rechtzeitig fertig werden!«, versprach ich.
Nach unserer Rückkehr nach Mempi suchte ich die neue Pyramidenbaustelle auf, um die Arbeiten dort wieder aufnehmen zu lassen. Kanefer hatte mir noch in Pihuni versprochen, mir den Bauleiter Rechmire, meinen alten Lehrer an der Tempelschule und Bauleiter des Atum-Tempels, zur Verfügung zu stellen. Rechmire leitete derzeit das Projekt einer neuen Wirtschaftsdomäne in Kusch, und es dauerte fast fünf Wochen, bis er in Mempi eintraf.
In der Zwischenzeit überarbeitete ich die Baupläne, um die Fehler zu vermeiden, die zum Einsturz der Pyramide geführt hatten. Ich entwarf einen stabilen Kernturm, eine Stufenpyramide mit leicht nach innen geneigten Steinlagen und darüber eine fest verankerte Verkleidungsschicht, die die Jahrtausende überdauern sollte. Als Fundament ließ ich Steinlagen aus Tura-Gestein verlegen.
Die Basislänge legte ich auf zweihundertvierzig Ellen fest, den Neigungswinkel auf einen halben senkrechten Winkel. Die Pyramide würde bei ihrer Vollendung die Knickpyramide um zehn Ellen überragen. Rund um die neue Pyramide plante ich den Eingangstempel im Tal des Hapi, den Aufweg und den Verehrungstempel als offenen Hof mit einer Sonnennadel in der Mitte. Hesire hatte auf dieser Neuerung bestanden.
Als Rechmire eintraf, erklärte ich ihm meine Pläne, und er stimmte, nachdem er meine Berechnungen nachvollzogen hatte, der Ausführung zu. Ich vereinbarte mit ihm, dass er die volle Verantwortung für die Baustelle und den Titel Königlicher Bauleiter erhalten sollte, während ich
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