Die Herrin der Pyramiden
beiden Seiten darüber verständigt, vor der Fortsetzung der Kämpfe die Verhandlungen aufzunehmen.«
»Die beiden Heere liegen sehr dicht beieinander, Majestät. Hat es Übergriffe gegeben?«
»Jeden Tag, Nefrit. Ich lasse jeden Krieger hinrichten, der die Sumerer beschimpft oder deren Eigentum stiehlt. Mein Problem ist, dass ich mein Feldlager nicht abbrechen kann, um einigen Abstand zwischen uns und Sargon zu bringen. Sobald ich ihm den Rücken zuwende, wird er zuschlagen. Wir sitzen fest und können nur abwarten. Und verhandeln.«
»Um verhandeln zu können, Majestät, muss ich unsere militärische Lage kennen.«
»Rahotep und Neferatum haben den rechten Flügel kommandiert. Die Verluste waren dort relativ gering, weil Sargon den linken Flügel und das Zentrum angegriffen hat. Djedkare und Senhotep auf dem linken Flügel haben fast dreitausend Mann verloren und entsprechend viele Streitwagen und Pferde, die Sargon erbeutet hat. Antef und Nekure haben die beiden Regimenter des Zentrums kommandiert und fast zweitausend Mann verloren, aber durch einen gezielten Vorstoß Sargon in Lebensgefahr gebracht.«
»Hat Sargon direkt auf die Mitte unseres Heeres gezielt?«
»Sein Ziel war es, mich gefangen zu nehmen. Aber mein Freund Djedef hat mich beschützt.«
Jetzt erst nahm ich den Fürsten von Amurru neben dem Zelteingang wahr. Djedef nickte mir zu.
»Wie ist die Lage jetzt, Majestät?«
»Sie ist verzweifelt.«
Seneferu ließ über seinen Adjutanten Teti einen Termin für die Aufnahme der Verhandlungen mit König Sargon vereinbaren, die noch am selben Tag stattfanden. Sargon schien genauso ungeduldig zu sein wie Seneferu, aus dieser unbefriedigenden Situation herauszukommen.
Die beiden Könige hatten auf ihren Reisethronen in einem Verhandlungszelt Platz genommen, Urnammu neben Sargon, ich neben Seneferu. Das Zelt war bewacht, wir waren allein.
Sargon hatte sich in den Jahren, in denen ich ihn nicht gesehen hatte, kaum verändert. Ein paar Falten hatten sich um seine blauen Augen eingegraben. Der König trug sein langes Haar geflochten und zu einem Knoten im Nacken aufgesteckt. Sein Bart reichte ihm bis zum vergoldeten Brustpanzer.
Seneferu stellte mich als Prinzessin Nefrit-neferu-itet vor und nannte meinen Titel Große Geliebte des Königs. Ein Titel, den Sargon missverstehen musste. Er nahm meine Hand und küsste sie. »Wie schön du bist, Nefrit-neferu-itet. Was bedeutet dieser Name?«
»Die vollkommen Schöne, die Schönste von allen, ist gekommen.«
»Ein passender Name für eine Königin.«
»Ich bin keine Königin.«
»Gehörst du nicht zu Seneferus Harem?«
»Nein.«
»Bist du seine Geliebte?«
»Nein.«
»Ich habe nach dir gefragt. Mein Sohn Urnammu hat mir von dir erzählt, und auch meine Tochter Ninsun berichtete in ihren Briefen von dir. Selbst Mesilim ist dir schon begegnet.«
»Auch wir sind uns schon begegnet, Majestät.«
»Ich kann mich nicht erinnern.«
»Es war vor vielen Jahren im Palast von Pihuni. Wir hatten eine kleine Auseinandersetzung im Garten.«
Ein Lächeln der Erinnerung huschte über sein Gesicht. »Ich erinnere mich. Du hast mich gefragt, was Schnee ist.«
Seneferu sah von mir zu Sargon und zurück zu mir. Er verstand kein Wort von dem, was wir sprachen, und schien beunruhigt über Sargons Lächeln. »Hast du ihm gerade Kemet zum Geschenk gemacht, Nefrit?«
»Nein, Majestät. Ich habe ihn daran erinnert, dass wir uns vor Jahren bereits begegnet sind. Er konnte sich erinnern.«
»Lass uns endlich beginnen!«, sagte Sargon ungeduldig. »Ich habe schon zu lange gewartet! Übersetze meinem Bruder Seneferu meine Worte genau. Mein Sohn wird zuhören, denn er versteht deine Sprache, spricht sie aber nicht so gut wie du die unsere.«
»Ich bin bereit, Majestät.«
»Sag Seneferu, dass ich zornig bin über den Tod meiner Tochter, an dem er die Schuld trägt. Ninsun ist ermordet worden, als sie einem Sohn das Leben schenken wollte. Das ist eine verabscheuungswürdige Tat, die bestraft werden muss.«
Ich übersetzte Seneferu Sargons Worte.
»Sag meinem Bruder Sargon, dass Ninsun im Kindbett gestorben ist und nicht ermordet wurde«, antwortete Seneferu ruhig.
»Eure Tochter Ninsun, Majestät, starb bei der Geburt ihres Sohnes. Der Arzt hatte mich schon Wochen zuvor auf die Gefahren dieser Geburt hingewiesen. Urnammu war anwesend und kann meine Worte bestätigen.«
Sargon sah zu Urnammu hinüber. Eine tiefe Falte hatte sich auf seiner Stirn gebildet. Der
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