Die Herrin der Pyramiden
Das Wort Geisel wird auf beiden Seiten sorgsam vermieden, um die Lage nicht weiter zuzuspitzen. Rimuschs Verhalten Ti als Kriegsminister und mir als Königssohn gegenüber ist unverschämt. Die Verhandlungen kommen keinen Schritt voran, solange Rimusch keine Nachricht von seinem Vater hat. Gruß, Maatkare.«
Der nächste Brief traf drei Wochen später ein. Ich stieg in meinen Wagen und fuhr vor die Stadt.
Khufu hatte in den Wochen seit Ninsuns Tod die vier Regimenter in Form gebracht. Die Krieger machten jeden Tag Schwertübungen und übten den Kampf vom Streitwagen aus. Außerdem hatte er, dem Befehl seines Vaters folgend, zwei weitere Regimenter aufgestellt. Insgesamt lagen sechs Regimenter mit dreißigtausend Mann vor den Toren der Hauptstadt und warteten darauf, von ihrem Feldherrn das Zeichen zum Aufbruch nach Osten zu erhalten.
Der König stand auf seinem Kampfwagen und überwachte die von Khufu koordinierten Manöver der beiden neuen Regimenter vor den Toren der Stadt. Khufu stand auf seinem eigenen Wagen neben ihm und brüllte Befehle, die seine Offiziere durch Flaggenzeichen an die Kommandanten weitergaben.
Ich hielt meinen Wagen neben dem des Königs.
»Nachrichten von der Front?«, fragte Seneferu, als er abstieg und mir entgegenging.
Ich reichte ihm wortlos Maatkares letzte Nachricht, die ich auswendig konnte. Seneferu las lautlos den Brief seines Sohnes:
»Prinz Maatkare an Wesir Kanefer. Dieser Tag wird in die Geschichte der Beiden Länder eingehen! Rimusch hat Ti hinrichten lassen. Minister Ti hatte den Prinzen von weiteren Exekutionen derjenigen unserer Männer abhalten wollen, die versucht hatten zu fliehen, und ist selbst ein Opfer der sumerischen Grausamkeit geworden. Die Maat stehe uns bei! Heute Nachmittag traf König Sargon mit zwei Regimentern ein. Während seine Offiziere das Lager aufschlugen, befahl er seinen Sohn Rimusch zu sich. Ich erwarte, dass ich in den nächsten Stunden zu ihm gerufen werde. Mein Adjutant sagt mir gerade, dass zwanzig Bewaffnete zu meinem Zelt unterwegs sind, vermutlich kommen sie, um mich zu …«
Der Brief endete mitten im Satz und war nicht unterschrieben.
»Glaubst du, dass Maatkare tot ist?«, fragte mich Seneferu. Seine geballte Faust zerdrückte den Papyrus, bis er brach.
»Die Bewaffneten müssen ihn verschleppt haben, bevor er seine Nachricht beenden konnte.«
Seneferu setzte sich auf die Bodenplatte seines Streitwagens und reichte Khufu den Papyrus. Er sah erschöpft aus. »Meine Söhne sterben vor mir! Die Dynastie zerfällt!«, seufzte er.
Khufus Gesichtsausdruck war undefinierbar, als er mir den Brief zurückgab.
»Ihr seid noch jung, Majestät!«, sagte ich.
»Ich brauche deinen Trost nicht, Nefrit. Ich brauche deine Liebe.«
»Scharrukena von Akkad, Herrscher der vier Weltteile, an Seneferu Nebmaat, Herrscher der Zwei Reiche. Mein Sohn Urnammu, den du in deiner Hauptstadt gefangen hältst, hat mir berichtet, dass meine geliebte Tochter Ninsun in dem Augenblick von deinem Arzt getötet wurde, als sie im Begriff stand, unsere beiden Dynastien durch die Geburt eines Sohnes zu vereinen. Diese hinterhältige und verabscheuungswürdige Tat wird gerächt werden, mein Bruder! Da dir offensichtlich so wenig am Frieden liegt, habe ich meine Generäle angewiesen, am kommenden Neumond ihre Streitwagen in Richtung der Beiden Reiche in Bewegung zu setzen. Solltest du dich entschließen, ihnen entgegenzuziehen, vergiss nicht, meine Tochter und meinen Sohn Urnammu mitzubringen. Ich würde beide gern bei mir haben. Gruß, Scharrukena, König von Sumer.«
Seneferu ließ mich nicht aus den Augen, während ich die provozierenden Worte des sumerischen Königs vorlas.
Vor seinem Schreibtisch standen die Söhne des Königs, der Wesir Kanefer, der Oberkommandierende Khufu, die Generäle Rahotep, Neferatum, Djedkare und sein Schwiegersohn, General Senhotep, und erwarteten den Befehl zum Aufbruch der Regimenter.
Seneferu richtete seinen Blick auf die Karte des Reiches, die an der Wand befestigt war, und sagte nichts.
Rahotep, wegen Tis Hinrichtung erfüllt von Hass gegenüber Rimusch, dessen Vater und allen Sumerern, brach als Erster das Schweigen im Arbeitsraum: »Majestät, gebt den Befehl …«
»Wie weit ist Ninsuns Einbalsamierung vorangeschritten, Kanefer?«, unterbrach ihn sein Vater, als habe er ihn nicht gehört.
»Es ist der vierundfünfzigste Tag, Majestät.«
»Die Priester sollen die Prozedur beenden. Ninsun wird morgen ihre
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