Die Herrin der Rosen - Historischer Roman
hatte Säulen aus Käse, ein Dach aus Quark und ein Gebälk aus Sahne.
»Mehr!«, beharrten die Kleinen, und ohne zu zögern, reimte er weiter:
»In den Brunnen funkelte Wein,
Bier quoll aus dem Bächelein,
und Malz stieg auf vom Wiesengrund,
zu ergötzen jeden Schlund.«
»Sehr gut, Thomas!«, rief ich applaudierend und zeigte mich.
Erschrocken, dass ich ihm heimlich zugehört hatte, wurde er rot bis zu den Haarwurzeln.
»Und der Dichter, der’s ersann, zu erröten gleich begann«, dichtete ich im Scherz, worauf Tom mir einen Luftkuss zuwarf.
In meinem ganzen Leben hatte ich nicht so viel gelacht wie in diesen frühen Tagen auf Raby Castle.
Thomas und sein jüngerer Bruder, George Neville, hätten unterschiedlicher nicht sein können. George war belesen und zog das Studium der Bücher der Gesellschaft anderer Menschen vor. Mit dreiundzwanzig Jahren war er schon zum Bischof ernannt worden, und er war auf die Burg gekommen, um an den drei Samstagen vor unserer Vermählung das Aufgebot zu bestellen. Eines Abends, der Earl und seine Familie waren in dringenden Angelegenheit zur Burg in Sheriff Hutton gereist und Warwick in Calais, saß ich stickend in einem der Zimmer und hörte John und seinen Brüdern zu, die sich über Tugenden und Laster unterhielten. Zu ihren Füßen kullerten leere Weinflaschen, und von den bunten Wandgemälden blickten die heilige Margaret und die vier Evangelisten herab. Irgendwann wurde Thomas müde, hob eine Flasche in die Höhe und prostete der Wand zu. »Auf die Tugenden und die heilige Margaret, meine lieben Brüder!«, rief er und trank die letzten Tropfen.
»Nüchternheit ist eine Tugend, Bruder«, ermahnte Bischof George ihn ernst. »Sieh dir an, wie viele tote Soldaten hier liegen, vor allem dank dir.«
»Und keiner von ihnen starb ohne Priester, nicht wahr, Bruder?«, erwiderte John lachend, allerdings lallte er schon ein bisschen.
Thomas klopfte ihm zustimmend auf den Rücken, und George zuckte resigniert mit den Schultern.
Über Johns Mutter wusste ich wenig, nur dass sie dem Adelsgeschlecht der Montagu Earls of Salisbury entstammte und als einziges Kind ihres Vaters dessen Titel geerbt hatte, der bei der Heirat auf ihren Gemahl übergegangen war. Wenngleich sie ausnahmslos höflich war, wechselte sie kaum mehr als die üblichen Nettigkeiten mit mir und hatte auch wenig Zeit für harmlose Plaudereien oder Handarbeiten. Einen Großteil ihres Tages nahm die Haushaltsführung in Anspruch, und beim Abendessen widmete sie ihre Aufmerksamkeit ganz ihrem Lord. Da wir in der großen Halle auf entgegengesetzten Seiten des Earls saßen, ergaben sich keine längeren Gespräche, und mit John neben mir war ich ohnedies abgelenkt. Nach der Vesper war es üblich, dass sich der Haushalt in der Kapelle zum Nachtgesang mit Psalterbegleitung sowie Gebeten an die Jungfrau Maria und den Heiligen Geist einfand, bevor das Komplet den Tag ausläutete.
Dergestalt war mein Leben in jenen ersten wundervollen Tagen meiner Verlobung.
Am zweiundzwanzigsten April, dem Vorabend des St.-Georgs-Festes, traf Warwick mit seiner Familie und Sir Thomas Malory ein. Außer sich vor Freude, stürmte Ursula ihrem Vater entgegen und warf sich in seine Arme; Malory selbst konnte den ganzen Tag nicht mehr aufhören zu strahlen.
»Was für ein Ritter Mylord Warwick ist, Mylady!«, schwärmte Ursula mit glänzenden Augen, als sie mich später am Abend fürs Bett umkleidete. »Solch eine imposante Erscheinung, solch eine fürstliche Haltung! Man sagt, er allein habe Calais zu einer Streitmacht aufgebaut, die niemand unterschätzen sollte, einzig durch Mut, harte Arbeit und die Kraft seiner Persönlichkeit …« Mein Schweigen musste sie irritiert haben, denn sie brach mitten im Satz ab und sah mich fragend an. »Pflichtet Ihr mir nicht bei, dass er der großartigste Ritter unserer Zeit ist?«
Die Frage war leicht zu beantworten. »Nein, keinesfalls, Ursula. Der ist John.« Wir beide lachten.
Zwei Nächte nach dem Fest des heiligen Georgs konnte ich vor lauter Glück nicht schlafen. So lauschte ich den Glockenschlägen zu Mitternacht, mit denen der Tag meiner Vermählung, der fünfundzwanzigste April, begann.
Ich saß mit angezogenen Knien an meinem Fenster und blickte hinaus auf den See. Es war eine laue Frühlingsnacht, schwanger vom süßen Duft der Rosen, Lilien, Narzissen, Heidenelken und Kirschblüten, der mich geradezu berauschte. Mit dem Hahnenschrei endete die Nacht, und der Morgen erstrahlte in einer
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