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Die Herrin der Rosen - Historischer Roman

Die Herrin der Rosen - Historischer Roman

Titel: Die Herrin der Rosen - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Worth
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Nachbarn«, entgegnete er. »Wenn viele Münder zu stopfen sind und das Geld knapp ist, werden Muscheln für einen Viertelpenny zu einem Festmahl. Mir erfreut es das Herz, diesen Menschen etwas von ihrer Last nehmen zu können.«
    Ja, Raby Castle war ein fröhlicher Ort, voller Musik, Gesang und Gäste, denn die Großzügigkeit des Earls galt jedermann. Stets wimmelte es in der Halle von Rittern und Knappen, und keiner, der um Unterkunft bat, wurde abgewiesen. Der Earl genoss überdies neue und ausgefallene Gerichte, aber nicht etwa für sich. Wurden sie ihm serviert, schickte er sie sofort zu den Tischen mit seinen Rittern, Knappen und Gästen.
    Ich hatte einmal gelesen, dass die Art, wie ein Mann die behandelt, die unter seinem Stand sind, mehr über ihn verrät als sein Benehmen vor Höhergestellten. Demnach besaß Johns Vater einen untadeligen Charakter, und ich war überglücklich, in solch eine wunderbare Familie einzuheiraten. Während der drei Wochen, die ich vor unserer Vermählung auf Raby Castle verbrachte, erlebte ich nicht ein Mal, dass der Earl ein harsches Wort äußerte oder einen Diener schlecht behandelte, und kein Gast verließ ihn ohne ein Geschenk. In seinen Worten und Taten folgte der Earl dem Familienmotto »Ne Vile Velis« – »Wünsche nichts Böses« – und Raby war, wie ich fand, ein ehrenwertes Haus.
    Falls der Earl of Salisbury überhaupt einen Fehler hatte, dann lag er in der Sorgfalt, mit der er seine Bücher führte und sicherstellte, dass jeder Pence, der ihm zustand, gezahlt und seinen Empfängern nichts unterschlagen wurde. Doch ich konnte ihm nicht verdenken, dass er seine Finanzen streng überwachte. Der König schuldete ihm zehntausende Pfund an Löhnen für sein Heer, das er während der französischen Kriege bezahlt hatte, und die Krone hatte diese Schuld nie beglichen. Daher stand es nicht zum Besten um das Vermögen des Earls.
    In diesem Haus der Fröhlichkeit, des Lachens und der Wohltätigkeit war es der trotz seiner reifen siebenundzwanzig Jahre stets scherzende Thomas, der zweite Sohn des Earls, der für den meisten Spaß sorgte. Thomas war überdies der Bruder, der John am nächsten war, und mit seinem heiteren Naturell war er der leuchtende Stern in der Burg. Gleich am ersten Abend lernte ich, dass er niemals ein Lied beim Essen verklingen ließ, ohne den Krug auf den Tisch zu knallen und zu rufen, dass dieses Lied nach Trank verlange, und damit verlässlich allgemeines Gelächter entzündete. Auch ließ er keine Gelegenheit aus, uns mit seinem Witz zu bezaubern. Eines Abends erzählte ein älterer fahrender Ritter, der auf der Durchreise war, von einem Fest bei Herzog Albert in Rottenburg-am-Neckar, dem er mit Somerset beigewohnt hatte.
    »Herzog Albert war äußerst gütig«, berichtete der alte Ritter. »Er verlieh dem Duke of Somerset den fürstlichen Salamander-Orden.«
    Thomas lehnte sich zu mir und flüsterte: »Der fürstliche Floh-Orden wäre passender gewesen, denn der Mann ist die Pest!« Dabei tat er, als müsste er sich überall kratzen, und ich senkte rasch den Kopf, um mein Kichern zu bändigen.
    Im Umgang mit Kindern war Thomas wunderbar, obgleich er keine eigenen hatte. Jedes Mal, wenn er nach einigen Tagen Abwesenheit zurückkehrte, stürmten sie aus allen Winkeln der Burg herbei, um ihn zu begrüßen. Dabei war es unbedeutend, ob sie von adliger oder einfacher Geburt waren, Thomas wirbelte sie alle herum. Einmal traf ich ihn inmitten einer giggelnden Kinderschar hockend an. Er hatte eine Hand hinter dem Kopf nach oben gestreckt und schrie laut wie ein Esel: »Iaah!« Andere Male unterhielt er die Kinder mit kleinen Taschenspielertricks, »fand« Münzen hinter ihren Ohren oder Rosen in ihren Ärmeln. Und oft bettelten sie im Chor: »Eine Geschichte, eine Geschichte!«, bis er eines der Kleineren auf sein Knie setzte und ihnen aufregende Sagen von Rittern und Schlachten erzählte. Bei einer jener Gelegenheiten lauschte ich hinter der Kammertür, als er die Kinder mit einem Vers über einen Milchsee beglückte:
    »Bei einem süßen Schläfchen
war’s uns, als sähen wir Schäfchen,
doch war’s ein See aus weißer Milch,
und unter uns kein feiger Knilch,
stiegen kühn wir mittenrein,
schlugen Wellen hoch gar fein,
bis vom Seegrund Honig floss.«
    »Mehr, mehr!«, riefen die Kinder, und weiter ging es mit einer Burg, deren Festungswall aus Vanillepudding bestand, die Zugbrücke aus Butter, die Böden aus Brot und die Türen aus Dörrfleisch. Jene Burg

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