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Die Herrin des Labyrints

Die Herrin des Labyrints

Titel: Die Herrin des Labyrints Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Gartenarbeit und Desserttellern zu tun hatte.
    Das Lieblingsessen meines Sohnes war – neben Pizza in allen Varianten – das klassische Schnitzel mit ganz viel Pommes frites. Oft gab es das nicht bei uns, aber wenn schon ein brillantes Zeugnis, dann sollte es wenigstens mit einer ordentlichen Portion Junkfood belohnt werden. Als Nachtisch hatte ich ebenfalls eine von Patrick geschätzte Speise vorbereitet, eine Mousse au Chocolat mit Erdbeeren und Vanillesauce. Schrecklich süß und für mich und Henry stark zuckerreduziert. Allerdings musste ich kurz vor dem Servieren noch einmal in den Garten gehen. Die feuchtwarme Witterung der letzten Tage machte mir die Auswahl leicht. Zwei wunderschöne orangefarbene Nacktschnecken und ein dicker, glänzender Regenwurm waren schnell gefunden und mit etwas Zitronenmelisse auf dem Teller angerichtet. Wenn mein Sohn etwas hasste, dann waren es diese schleimigen Lebewesen.
    »Hier, Patrick, dein Nachtisch.«
    »Ihhhgittt! Baba, spinnst du? Ähhh!«
    Angeekelt schob er den Teller von sich.
    »Feigling«, sagte ich trocken und nahm einen Löffel voll Mousse. Henry sah mich mit einem verstehenden Augenzwinkern an.
    »Was ist, Junge?«
    »Was soll der Ekelkram, Baba?«
    »Iss sie, oder bring sie raus!«
    Er wollte aufstehen und fliehen, aber Henry drückte ihm die Hand schwer auf die Schulter. »Du hast gehört, was deine Mutter gesagt hat. Essen oder in den Garten bringen.«
    »Dann muss ich die ja anfassen!«
    »Und? Ich habe sie auch angefasst, als ich sie auf den Teller gelegt habe. Du kannst ganz unbesorgt sein, sie sind weder giftig noch beißen sie.«
    »Bring sie doch selber raus.«
    »Nein, mein Schatz, das machst du. Oder du isst sie! Kannst auch etwas Vanillesauce darüber gießen.«
    Ich erntete einen Blick, der ein feuchtes Handtuch zum Entflammen gebracht hätte. Darum setzte ich noch eins drauf.
    »Was habe ich nur für einen Feigling als Sohn! Fürchtet sich vor einem kleinen glitschigen Regenwurm und zwei harmlosen Schnecken.«
    Diesmal schien die Botschaft zu ihm durchzudringen, und er straffte seinen schmalen Rücken.
    »Kann ich wenigstens die Gartenhandschuhe anziehen?«
    »Nein. Pur!«
    »Na gut!«
    Mit einem Gesicht, das äußersten Widerwillen ausdrückte, trug Patrick den Teller nach draußen, kam kurz darauf mit dem leeren Teller wieder zurück und verschwand, um sich vehement die Hände zu schrubben.
    »Eine ziemlich drastische Lektion, Amanda!«
    »Erschien mir aber notwendig. Was Besseres ist mir auf die Schnelle nicht eingefallen.«
    Ich füllte einen frischen Teller mit einer großen Portion Mousse und Erdbeeren und stellte sie an Patricks Platz. Als er sich wieder zu uns setzte, sagte Henry leise und mit beinahe tröstender Stimme zu ihm: »Es ist schwer, seinen Vater als Feigling betrachten zu müssen.«
    Patrick reagierte nicht sichtbar darauf, sondern aß das Dessert auf, ohne den Blick zu heben oder ein Wort zu sagen. Anschließend verschwand er grußlos in seinem Zimmer. Henry und ich setzten uns in die Dämmerung hinaus auf die Terrasse, um die abendliche Kühle zu genießen und in der friedlichen Stille über dies und das zu plaudern. Gegen elf machte sich Henry dann zu seinem Hotel auf, und ich räumte noch die Küche auf, um dann ins Bett zu gehen.

KAPITEL 51

    Abschiedsvorbereitungen
    Ich hatte kaum das Licht ausgemacht und mich auf die Seite gedreht, als leise die Tür aufging und Patrick ins Zimmer schlüpfte.
    »Schläfst du schon, Baba?«
    »Nein, Patrick.«
    Er stand mit hängenden Schultern vor meinem Bett und suchte offensichtlich nach Worten. Er tat mir leid. Ich hatte ihm nicht nur einen unangenehmen Streich gespielt, ich hatte ihn auch gedemütigt. Darum streckte ich jetzt meine Hand aus und zog ihn an meine Bettkante.
    »Setz dich, Patrick. Und hör mir zu. Ich war nicht nett zu dir, und das tut mir leid. Aber weißt du, warum ich das getan habe?«
    »Ja, Baba. Ich denke schon.«
    »Schau mal, Paddy!« Paddy hatte ich ihn nur genannt, als er noch ein Baby und ein so kleiner Junge war, dass Patrick noch nicht richtig passen wollte. Aber in diesem Moment schien es mir auf einmal wieder passend für das, was ich ihm mitteilen wollte. »Vor zwölf Jahren warst du ein hilfloses kleines Bündel Mensch, das ich gefüttert und gewickelt und warmgehalten habe. Das ist so die Aufgabe einer Mutter, damit ein Kind überleben kann. Dann habe ich dir geholfen, krabbeln zu lernen und aufrecht zu stehen, die ersten Worte zu sprechen und auf den

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