Die Herrin des Labyrints
wieder seine kritische Brille auf die Nase gesetzt hatte, nörgelte ausgiebig über das Ergebnis, bis Patrick ziemlich kleinlaut auf seinem Stuhl herumrutschte und ich Mühe hatte, ein ernstes Gesicht zu wahren. Es dauerte allerdings nicht sehr lange, bis mein kluger Sohn die Farce durchschaute und aufmüpfig fragte: »Großer Vater, wie sah denn dein Zeugnis aus, als du in die achte Klasse versetzt wurdest?«
»Fragt man das einen Großvater? Eine ältere Respektsperson?«
»Wahrscheinlich nicht, aber wenn es besser war, hast du ja nichts zu verbergen.«
»Es war eine Katastrophe, mein Junge, und ich bin mit Mühe durchgerutscht«, gestand Henry mit einem mürrischen Gesicht. »Das ist es ja, was ich so widerwärtig daran finde. Patrick, das Bedenkliche an der Sache ist, dass dir das auch noch leichtfällt.«
Jetzt war es an meinem Sohn, verlegen aus der Wäsche zu gucken, und ich fuhr ihm durch die ungebärdigen schwarzen Haare, die sich wie bei Damon in einem wilden Wirbel über der rechten Schläfe kräuselten. Er schüttelte mich ab, ein Mann von Würde,der weibischen Zärtlichkeiten gegenüber gänzlich unempfindlich war.
»Wir werden uns etwas überlegen müssen, um das Schulsystem auszutricksen!«, schlug ich ihm vor. »Ich möchte doch nicht, dass du anfängst, dich zu langweilen.«
»Ich langweile mich nicht, Baba. Aber manchmal könnte es schon ein bisschen spannender sein. Meinst du, ich sollte die Schule wechseln?«
»Das wäre eine Möglichkeit. Ich denke, wir sprechen mal mit deinem Vater darüber.«
»Muss aber nicht zwingend sein.«
»Ich denke, doch. So, und jetzt zu Tisch, meine beiden!« Patrick grollte noch immer über Damon, er war über den Bruch in seiner Heldenverehrung noch nicht hinweggekommen. Ich hoffte, mir würde in den nächsten Tagen etwas einfallen, um ihm über diesen inneren Schmerz hinwegzuhelfen.
Aber bevor ich darüber nachdenken konnte, erhielt ich einen völlig neuen und unerwarteten Denkanstoß. Waltraud Seebruk rief mich nämlich an.
»Ich hoffe, ich störe Sie nicht, aber Sie haben mir ja Ihre Telefonnummer hiergelassen, damit ich Ihnen Bescheid sagen kann, wenn mir etwas zu Gita einfällt.«
»Frau Seebruk, ich freue mich über Ihren Anruf. Was gibt es denn für Neuigkeiten?«
Was sie mir erzählte, war nicht direkt etwas, was mit Gitas Charakter oder Eigenarten zusammenhing, sondern die Tatsache, dass Nicole und Nandi sie aufgesucht hatten, ebenfalls mit der
Absicht, ihre Mithilfe bei der Lösung des Rätsels zu erwirken.
»Ich habe ihnen aber nicht erzählt, dass Sie auch schon bei mir waren und mir die Münze gezeigt haben. Ich konnte beiden aber auch nicht besonders weiterhelfen, Amanda.« Sie gab ein heiseres Altfrauenkichern von sich. »Nandi ist gar nicht so wild darauf gewesen, das Rätsel zu lösen, er hat ziemlich auf heißen Kohlen gesessen und wollte unbedingt wieder weg. Aber diese Nicole, die war sehr neugierig. Ein komisches Mädchen. Ihre Augen gefallen mir nicht. Ihre sind hübscher, Amanda.«
»Oh, danke.«
»Ach ja, und als sie weg waren, da ist mir doch tatsächlich etwas eingefallen. Weil Sie mich doch damals nach dem Labyrinth gefragt haben. Ist Ihnen nicht auch schon mal aufgefallen, dass dieses Rätselgedicht etwas mit dem Labyrinth zu tun haben könnte? Ich meine, diese gewundenen Wege?«
Ich staunte. War eigentlich nur ich so blöd, dass ich das nicht gleich gesehen hatte?
»Doch, Frau Seebruk, inzwischen bin ich auch dahintergekommen. Aber bei mir hat das reichlich lange gedauert. Und bis jetzt hilft es mir auch nicht weiter, weil ich nicht weiß, was es mit der Tänzerin und dem Honigtopf auf sich hat. Aber trotzdem ganz herzlichen Dank, dass Sie darüber nachgedacht haben.«
»Ich werde auch weiter nachdenken, Kind. Ich habe ja sonst nicht so viel zu tun.«
»Das ist lieb von Ihnen, Frau Seebruk.«
»Ach ja, und übrigens … Also, ich habe nächste Woche am Mittwoch Geburtstag. Nicht dass das in meinem Alter noch von irgendeiner Bedeutung wäre, aber aus lauter Langeweile feiern wir hier solche Anlässe immer mit einem kleinen Kaffeetrinken. Möchten Sie nicht vorbeikommen und ein Stück Kuchen essen?«
Patrick hatte Ferien und ich eigentlich auch. Warum also nicht einer netten alten Dame eine Freude machen? Ich sagte zu.
»Und jetzt verzeihen Sie bitte einer neugierigen alten Frau noch eine sehr persönliche Frage, Amanda.«
»Fragen Sie nur, so viele Geheimnisse habe ich nicht.«
»Auf Ihrem Kärtchen steht, dass
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