Die Herrin des Labyrints
Topf zu gehen. Ich habe dich gepflegt, wenn du krank warst, und in den Schlaf gewiegt, wenn du weinend in deinem Bettchen lagst. Das sind auch die Aufgaben einer Mutter, und sie verlangen verdammt viel Geduld und den Verzicht auf die eigene Bequemlichkeit. Nicht dass du jetzt glaubst, es hätte mir etwas ausgemacht – na ja, zumindest größtenteils nicht –, ich habe dich von Anfang an sehr lieb gehabt. Deshalb hat es mir auch einen kleinen Stich gegeben, als ich dich das erste Mal in den Kindergarten geschickt habe, weil du damit die erste eigene Welt kennengelernt hast, an der ich nicht mehr beteiligt war. Einen zweiten kleinen Stich habe ich verspürt,als du dann zur Schule kamst und immer mehr eigene Interessen entwickelt hast. Gleichzeitig bin ich aber auch jedes Mal stolz auf dich gewesen, wenn du deine eigenen Gedanken entwickelt und Neues dazu gelernt hast.«
Patricks Augen, dunkel und weit geöffnet, sahen mich an, staunend, ein bisschen betroffen. Ich drückte seine Hand und fuhr fort: »Paddy, wir stehen jetzt wieder an so einer Stelle, wo du dich von mir ein Stückchen weiter entfernst. Meine Aufgabe als Mutter ist weitgehend beendet. Was jetzt in deinem Leben geschieht, das musst du von Männern lernen. Oder von anderen Frauen«, fügte ich mit einem Lächeln hinzu.
»Oh. Mhm.«
»Ich bin froh, dass Damon sich um dich kümmern will. Aber das geht natürlich nicht, wenn du ihn verachtest.«
»D… das tue ich ja gar nicht. Ich meine, es war wohl nicht richtig feige von ihm, nicht? Ich meine, das mit Ulli und so.«
»Nein, das war kein bisschen feige. Sein Eingreifen war überhaupt nicht notwendig. Und auch zuvor die Angelegenheit war von deiner Seite aus nicht notwendig gewesen und zeugte wirklich nicht gerade von tiefer Einsicht.«
»Was meinst du damit?«
»Du hast einen Jungen verprügelt, der deinen Trainer beleidigt hat, richtig?«
»Ja, und das war auch …«
»Mir ist vollkommen egal, was es war. Aber stell dir mal vor, dein Freund Timo würde sich mit jemandem prügeln, der sich abfällig über dich geäußert hat. Wie würdest du das finden?«
»Blöd. Wenn, dann würde ich ihm lieber selbst eine aufs Maul hauen.«
»Vielleicht hätte das dein Trainer auch lieber getan.«
»Aber der hätte doch nie was davon erfahren.«
»Dann hätte er sich auch nie darüber aufgeregt.«
»Also hätte ich ihn besser zu Thomas geschleppt und ihm gesagt, er soll das vor ihm noch mal wiederholen.«
»Das wäre zum Beispiel eine Alternative. Dann hätte Thomas selbst entscheiden können, ob er sich darüber aufregt oder nicht.«
»Davor hatte der Idiot aber Angst.«
»Womit er der wahre Feigling war. Paddy, ob jemand feige oder mutig ist, das hängt immer davon ab, wovor man Angst hat. Damon hatte vor Ulli keine Angst. Deshalb war er weder feige noch mutig. Aber du hattest heute Angst oder Ekel vor einem Regenwurm und hast ihn trotzdem rausgebracht. Das war mutig.«
»Findest du?«
»Ja. Ich glaube auch, dass du überhaupt ein mutiger junger Mann wirst. Aber du wirst diesen Mut in den nächsten Jahren auch dringend benötigen, denn dir steht eine ziemlich bescheidene Zeit bevor. Das hast du ja schon selbst bemerkt, nicht? Dein Körper verändert sich jetzt, und manchmal wirst du am Abend nicht wissen, was sich am Morgen Neues tun wird. Deine Stimme gehorcht dir nicht, deine Gefühle werden durcheinandergehen, kurzum, es wird eine verdammt scheußliche Sache werden, gegen die du dich nicht wehren kannst.«
»Ist das wirklich so schlimm? Die anderen reden ziemlich locker darüber. Und ich meine, in den Büchern steht auch eine Menge, aber das hört sich immer so … so normal an.«
»Es ist ja auch normal, und es passiert jedem. Aber das eine ist die körperliche Entwicklung, die man so schön mit klinischen Begriffen beschreiben kann, das andere ist aber das, was derjenige mitmacht, der in diesem Körper steckt und den ganzen Scheiß an sich selbst beobachtet.«
»Ist das bei Frauen auch so?«
»Genauso grässlich, wenn auch in manchen Bereichen anders. Ich kann mich nur zu gut noch daran erinnern. Damon kann es sicher auch, und sogar Henry wird die Zeit nicht vergessen haben. Darum könntest du, wenn du wolltest, bei ihnen Hilfe bekommen, wenn es mal zu dicke kommt.«
»Du willst mich los sein. Ist das richtig?«
»Nein, Patrick, ganz bestimmt nicht. Aber ich muss dich loslassen, damit du ein Mann und kein Muttersöhnchen wirst. Wahrscheinlich fällt es mir sogar schwerer als dir, mein
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