Die Herrin des Labyrints
zweieinhalb Jahre später in derselben Klinik gefunden worden war. Es lag sogar ein Foto bei.
Den Rest, das wusste ich, vervollständigten die Unterlagen, die mir meine Eltern über die Adoption hinterlassen hatten.
Eine lange Zeit saß ich regungslos an Halimas Schreibtisch und ließ die vielen, unterschiedlichen Gefühle langsam in mir hochsteigen. Ich wusste, jedem einzelnen würde ich mich noch stellen müssen, aber jetzt war nicht der richtige Augenblick dafür. Schließlich packte ich die Papiere wieder zusammen und steckte sie in den Umschlag.
»Hier, meine Herren, ist meine Identität«, sagte ich, als Henry und Patrick nachmittags bei mir zusammensaßen.
»Zeig her!«
Beide studierten sie gründlich, und Henry meinte abschließend: »Gut, das sind stichhaltige Beweise. Mach einen Termin mit dem Notar aus.«
»Was ist das hier, Amanda?«
Patrick hielt ein kleines schwarzes Etwas in der Hand. »Ich weiß nicht. Ein Fussel oder so?«
»Nein, schau mal, das sieht komisch aus. Es ist aus dem Umschlag gefallen.«
Es war in der Tat eine seltsame Sache. Zuerst dachte ich, es sei ein einfaches Haarknäuel, aber dann erkannte ich, dass es Haare, sehr lange schwarze waren, die mit Absicht zusammengebundenwaren. Und zwar so, dass sie eine kleine menschliche Figur bildeten. Um die Mitte war ein rotes Fädchen gewickelt.
»Da hat wahrscheinlich jemand Langeweile gehabt und aus seinen Haaren ein Püppchen gebastelt.«
»Ich finde das ekelig. Wirf es besser weg.«
Aber ein Gefühl sagte mir, dass ich genau das nicht machen dürfte, und ich nahm das seltsame Ding an mich.
»Oh, jetzt bekommen wir auch noch Besuch. Amanda, lass die Papiere verschwinden, der böse Onkel naht«, verkündete Patrick, der einen Blick zum Fenster getan hatte.
»Wer naht?«
»Onkel Nandi«, grinste er und nahm mir den Umschlag aus den Händen, um ihn in einer Schublade zu deponieren.
»Ein unerwarteter Besuch, Nandi«, begrüßte ich ihn, als ich die Tür öffnete.
»Ja, ich weiß, ich hätte anrufen sollen. Störe ich?«
»Noch nicht. Komm rein.«
In den letzten Tagen hatte es beinahe ununterbrochen geregnet, und es war ausnehmend frisch geworden. Die Terrassenzeit war vorläufig vorüber. Nandi stellte seinen Regenschirm ab und zog seine Jacke aus.
»Unmögliches Wetter!«
»Du sagst es.«
Er sah verändert aus, und ich brauchte ein paar Sekunden, bis ich merkte, warum. Der übliche Dreitagebart war fort, Nandi sah glattrasiert und ein bisschen blass aus. Auch eine gewisse Anspannung ging von ihm aus.
»Oh, du hast Besuch. Ich bin wirklich ein Trottel.«
»Der Besuch gehört zur Familie.« Ich stellte Henry vor, ohne jedoch zu erwähnen, dass er mein Vater war.
»Was führt dich her, Nandi?«
»Das ist nicht ganz einfach, Amanda. Ich habe etwas ziemlich Persönliches mit dir zu besprechen.« Sein Blick ging zu Henry hin, der gelassen und milde neugierig in seinem Sessel lehnte.
»Oh, das kannst du ruhig hier in diesem Kreis tun.«
»Ja – mmh. Wenn du meinst.«
Es war ein bisschen gemein von mir, aber ich weidete mich an Nandis Verlegenheit. Vermutlich wollte er mich wieder einmal über meine Forschungen in Richtung Enkelin aushorchen. Aber was jetzt kam, setzte mich nur noch in Erstaunen.
»Es ist so, Amanda, dass ich reinen Tisch machen möchte.«
»Aha. Mit mir? Haben wir etwas zu bereinigen?«
»Ja, das haben wir. Mir sind … Gerüchte zu Ohren gekommen.«
»Gerüchte. Betreffend was?«
»Na ja, dass du inzwischen mit deinen Nachforschungen Erfolg hattest.«
»Ja. Hatte ich.«
»Und dass du dabei ziemlich nahe an die Wahrheit gekommen bist. Stimmt das?«
»Was sagen denn die Gerüchte und von wem hast du sie?«
»Ich habe sie von Nicole. Sie hat jemanden getroffen, der es ihr gesagt hat.«
»Was gesagt?«
»Dass du Josianes Tochter bist.«
»Und wenn es so wäre?«
»Dann bliebe mir nichts anderes, als dich herzlich in der Familie willkommen zu heißen.«
»Soso.«
»Hast du es herausgefunden?«
»Ja, das habe ich.«
Nandi, der wie üblich zusammengesackt gesessen hatte, richtete sich plötzlich auf.
»Amanda, bitte verzeih mir. Ich habe«, er holte tief Luft und fuhr zu meiner maßlosen Überraschung fort, »ich habe das eigentlich schon immer geahnt.«
»Ach was? Du warst doch der Erste, der lauthals bezweifelt hat, dass es überhaupt eine Enkelin gibt. Du hast von Hirngespinsten einer alten Frau gesprochen und mit allen Mitteln versucht, mich davon abzuhalten, die Nachforschungen
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