Die Herrin des Labyrints
hilfreich.«
Ich nahm die beiden Püppchen und suchte mir eine passende CD heraus. Nichts Wildes, nichts Sinnliches, sondern eine andeutungsweise sakrale Musik. Dann knotete ich mit großer Achtsamkeit mein Tuch um die Hüften und begann einen langsamen, ruhigen Tanz. Es passierte wenig, eigentlich überhaupt nichts Besonderes. Nur meine Gedanken fingen an zu wandern. Kleine Erinnerungsfetzchen stiegen auf, nebensächliche Äußerungen, halbvergessene Wahrnehmungen, ein Bild, eine Geste. Zusammenhangslos tanzten sie mit mir, ohne dass ich sie festhalten konnte. Doch nach und nach webte sich ein Muster daraus, ein eigenartiges, unfassbares Gewebe aus Gegenwart und Vergangenheit. Eine Stunde bei Halima, in der eine schwangere Schülerin mittanzte. Nicole, die dabei war und ihre Blicke zwischen Halima und der Schwangeren schweifen ließ. Halima, die mich als Kind unerkannt auf den Stufen des Krankenhauses gelassen hatte. Halima, krank nach einer unsachgemäßen Abtreibung. Die Worte: »Weil du ein schlechtes Gewissen bei ihr auslöst!« Und auch Halimas Beteuerung: »Ich werde dir alles zurückerstatten, was ich damals an mich genommen habe. In der einen oder anderen Form.«
Die CD war zu Ende, ich schloss meinen Tanz mit der rituellen Bewegung, die mir jetzt wie selbstverständlich erschien.
»Das hat sehr hübsch ausgesehen, Amanda. Ganz anders als neulich auf der Bühne, irgendwie feierlicher. Hat es was genützt?«
»Ich glaube schon, Patrick. Ich fahre noch mal in Halimas Wohnung. Es kann spät werden.«
»Ich würde gerne mitkommen.«
»Nein, besser nicht. Es geht um Halimas Geheimnisse, und die sollten so wenige kennen wie möglich, finde ich.«
»Okay. Das ist wohl in Ordnung.«
Ich nahm, ohne noch recht zu wissen warum, etwas Räucherwerk mit und vor allem die beiden Haarpuppen.
Das Haus, in dem das Studio und darüber Halimas Wohnung lagen, war ruhig, die Läden im Erdgeschoss waren geschlossen. Als Erstes betrat ich das Studio. Die Putzfrau hatte gründlich saubergemacht in den letzten Tagen, in denen hier keine Kurse stattgefunden hatten. Ein paar verirrte Tanzschläppchen, ein vergessenes Hüfttuch und ein Pullover lagen auf dem Diwan, die Zeitschriften und Handzettel mit Kurs- und Veranstaltungshinweisen waren ordentlich gestapelt. Es machte einen verlassenen Eindruck. Ich sah mich im Foyer und in der Umkleideecke um, fand aber nichts, was von Bedeutung hätte sein können. Ich erwartete das eigentlich auch nicht. Im Trainingsraum war ebenfalls geputzt worden, dennoch lagen einige schwarze und blonde Haare in den Ecken. Das ließ sich wohl nie ganz vermeiden. In Halimas Büro war es warm und roch leicht nach dem Tee, der dort immer in einem Samowar kochte. Der PC und das zugehörige Equipment zeigten mit ihren kleinen gelben Lämpchen ihre Betriebsbereitschaft an, waren aber ausgeschaltet. Hier hatte ich die Post der vergangenen Tage sortiert und wahrscheinlich das erste Haarknäuel aufgelesen. Noch einmal sah ich mich gründlich um, fand aber ebenfalls nichts weiter. Sorgfältig schloss ich die Studiotüren hinter mir zu und ging die Treppe hoch zu Halimas Wohnung. Auch hier war saubergemacht worden, die Zimmer waren aufgeräumt, Bad und Küche geputzt. Aber diesmal wurde ich nach kurzem Suchen fündig. Halimas umfangreiche und nicht besonders ordentliche Kosmetiksammlung bescherte mir ein weiteres Püppchen, das zwischen Lippenstiften und Puderdosen steckte. Hier sah ein Haarknäuel völlig harmlos aus. Ein weiteres fand sich im Kleiderschrank, als ich der Reihe nach alle Kostüme ausschüttelte. Es war in dem braun-goldenen, das sie zur Gala getragen hatte. Und dann, als ich, inzwischen ziemlich sauer geworden, das Bett abzog, fand ich selbstverständlich im Kopfkissen auch noch eines. Nicole war sehr systematisch vorgegangen. Aber im Grunde hatte Halima es ihr leichtgemacht. Der Anfängerkurs endete montags um halb sieben, der nachfolgende Kurs begann gleich darauf. Vermutlich hatte sie gewartet, bis alle Teilnehmerinnen entweder fortgegangen oder im Trainingsraum beschäftigt waren,hatte sich aus Halimas Büro den Wohnungsschlüssel genommen, sich hochgeschlichen und ihr böses Werk durchgeführt. An die Haare zu kommen war sowieso ganz einfach.
Ich steckte die Püppchen in eine Plastiktüte und bezog dann das Bett neu. Danach zündete ich in einer kleinen Messingschale das Räucherwerk an und ging, um den süßen Salbeirauch zu verteilen, langsam durch alle Zimmer. Eine Geste der Reinigung,
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