Die Herrin des Labyrints
weniger der üblen Schwingungen wegen als einer Beruhigung für mich. Ich wollte, dass die Wohnung für mich von den hässlichen Vorstellungen gesäubert war, wenn Halima morgen zurückkehrte.
Henry übernahm die Aufgabe, Halima aus dem Krankenhaus zu holen. Sie taten es, ohne jemanden um Erlaubnis zu fragen, gegen Abend.
»Amanda, ich weiß nicht, ob das, was du hier machst, richtig ist«, sagte Henry, als er mit Halima die Wohnung betrat. »Es geht ihr nicht besonders gut, und sie hat inzwischen auch Fieber bekommen.«
»Wenn das, was ich denke, ihr nicht hilft, dann bringen wir sie morgen gleich zurück. Aber jetzt solltest du gehen, denn wir haben etwas zu erledigen, das wirklich nur uns Frauen etwas angeht.«
»Sehr ungern, Amanda.«
»Dann setz dich unten ins Studio und warte. Aber es kann lange dauern.«
Henry war ausgesprochen zäh in seiner Beschützerrolle, und ich fing an zu ahnen, dass Halima ihm etwas mehr bedeutete als nur eine nette Bekanntschaft. Ich empfand darüber eine leise Freude. Aber im Augenblick musste er wirklich das Feld räumen.
»Ich warte unten.«
»Dann koch dir einen Tee. Im Büro findest du alles Notwendige.«
Halima hatte sich erschöpft in einen Sessel gesetzt und zugehört. Ihr Lächeln, als Henry die Tür hinter sich zuzog, war matt, aber anerkennend.
»Du bist ganz schön herrschsüchtig, wenn du etwas durchsetzen willst, Amanda. Was hast du vor?«
»Dich ins Bett zu bringen. Komm, ich helfe dir.« Kurz darauf lag Halima in den Kissen, und ich zog die Vorhänge zu. Die lange Abenddämmerung hatte, bedingt durch die tiefhängenden Wolken eines stürmischen Regentiefs, schon eingesetzt, und es war halbdunkel in dem Zimmer. Ich zündete drei Kerzen an, die mit ihrem flackernden Licht goldene Inseln bildeten, und setzte auch die Räucherkohle in einer flachen Schale voller feinem Sand in Brand. Noch einmal verwendete ich getrockneten, gepressten Salbei. Dann ließ ich mich in einen Sessel gleiten, den ich an Halimas Bett gestellt hatte. Draußen rauschte ein beständiger Regen nieder, es tröpfelte monoton aus der Dachrinne, und die feuchte Luft verstärkte den süßherben Duft des Rauches. Wir beide schwiegen, in unsere eigenen Gedanken versunken. Es war ein leichtes, erwartungsvolles Schweigen, in dem sich nur manchmal unsere Augen trafen. Aber dabei entstand ein feines, zartes Band, ein Austausch von bildgewordenen Empfindungen. Ich bemerkte, dass ich diese Visionen lenkte und Halima mir willig folgte. Anfangs war es leicht, ein Tasten und Spüren unter einer offenporigen Oberfläche, aber nach und nach erhöhte sich die Spannung, wurden die Bilder intensiver. Einmal schloss Halima für eine Weile gequält die Augen, und ein Krampf schüttelte ihren Körper. Ich legte meine Hand auf ihre schweißfeuchte Wange, und langsam verebbte die Anspannung. Sie öffnete die Augen wieder und sah mich wartend an. Ich sammelte mich und atmete einige Male tief ein, um wieder auf die Ebene der Bilder zu gelangen. Auch ich fühlte Schmerzen, weniger körperliche als geistige. Es war das unendliche Verlustgefühl, das mich packte, dieses Wissen, dass mir jeder Halt genommen worden, jede Sicherheit verloren war. Es war die Erinnerung an eine Zeit, in der meine Welt zusammengebrochen war, und ich war wieder das weinende, mutterlose Kind in seiner grenzenlosen Einsamkeit, das nicht wusste, wer es war. Die Frau in Schwarz, die mich so grausam aus der Geborgenheit gerissen hatte, erhob sich drohend über mir, und die altbekannte Qual umklammerte mich noch einmal mit aller Macht. Sie stieg wie schwarze Teerblasen aus einer zähen Masse von Leid empor. Ich wehrte mich diesmal nicht gegen den Schmerz, ich ließ ihnzu, und die Blasen zerplatzten an der Oberfläche. Jede einzelne brannte in meinem Körper und meinem Geist, doch mit jedem Mal wurden sie kleiner, harmloser und verloren an Kraft. Sie wandelten sich allmählich unter der gleichförmigen, losgelösten Betrachtung. Der Teer wurde flüssig, verlor seine Schwärze, wurde zu Wasser, auf dessen Oberfläche sich schmutziger Schaum bildete. Und schließlich wurde auch dieser fortgespült durch ein beständiges Rauschen des Regens. Was blieb, war eine klare, saubere Fläche, in der sich mein Gesicht spiegelte.
»Halima, seit ich denken kann, versuche ich, mit dem Verlust meiner Mutter fertig zu werden, oder besser mit dem der mütterlichen Geborgenheit und meiner Identität. Aber ich werfe dir nicht vor, dass du es warst, die mich aus dem
Weitere Kostenlose Bücher