Die Herrin des Labyrints
mal hier, das Baby. Dem Datum nach muss es Josiane sein.«
Es gab keine Bemerkungen zu den Bildern, aber das Datum der Aufnahmen war neben ihnen häufig vermerkt. So konnten wir verfolgen, wie Josi vom Säugling ins Krabbelalter hineinwuchs,ihre ersten Schritte mit gut einem Jahr wagte und schließlich eine stolze Schülerin wurde. Das Ganze war jedoch nur auf wenigen Fotos dokumentiert, und die Umgebung zeigte deutlich, dass es die Zeit der Nachkriegswirren war, in denen sie groß geworden war. In dem zweiten Album war Josiane bereits ein junges Mädchen, und die Familienaufnahmen zeigten Gita mit einem anderen Mann. Noch einmal hielt sie ein Baby im Arm. Es musste Nandi sein, dessen Aufwachsen in diesem Album dokumentiert wurde.
»Gitas erster Mann scheint nach dem Krieg gestorben zu sein.«
»Ja, er war irgendein hoher Offizier. Aber mehr weiß ich auch nicht.«
»Ah, Moment – dann muss Gita damals einen anderen Namen getragen haben. Und Josiane auch. Weißt du, wie der Mann hieß?«
Nicole sah mich groß an. »Nein. Gita hat nie viel von ihm erzählt. Aber wahrscheinlich weiß es Nandi. Oder er kann es herausfinden. Jedenfalls hat sie in den Nachkriegsjahren wieder geheiratet, aber viel Glück hatte sie mit dieser Ehe auch nicht. Georg Halstenberg ist ebenfalls früh gestorben. Kurz nachdem Josiane fortgegangen ist. Siehst du, hier ist das letzte Bild von Josiane.«
Ich sah es mir sehr gründlich an. Das farbige Foto zeigte eine ungefähr zwanzig Jahre alte, ausgesprochen selbstbewusste junge Frau. Sie hatte die Haare inzwischen platinblond gefärbt, als Kind war sie deutlich dunkler gewesen. Die Lippen hatte sie in hellem Rosa geschminkt, die Augen hatte sie dagegen dunkel umrahmt und wahrscheinlich falsche Wimpern angeklebt. Auf jeden Fall sah sie den Fotografen reichlich herausfordernd an.
»Jetzt habe ich wenigstens eine Vorstellung von ihr. Danke, Nicole. Das war sehr nett von dir, dass du mir das gezeigt hast. Nandi war ja nicht besonders hilfreich, als ich ihn um Fotos gebeten hatte.«
»Nandi hat ja so viel am Hals, Amanda. Das musst du verstehen. Es läuft gerade wieder eine große Produktion an, und ständig passieren irgendwelche Katastrophen. Aber ich habe ihm einen Erfolgszauber gemacht, und wenn der funktioniert, dann sind wir aus dem Gröbsten raus, wenn der Film fertig ist.«
»Die beste Mitarbeiterin, die ein Unternehmer haben kann, ist eine praktizierende Hexe!«, kicherte ich, und Nicole stimmte mit ein. Dann erzählte ich ihr von Halima.
»Genial, Amanda. Also hatte ich recht, es gibt eine Tochter. Das muss ich sofort Nandi erzählen. Wenn er weiß, dass dieses Mädchen kein Hirngespinst von Gita war, wird er dich sicher auch mehr unterstützen.«
»Warten wir’s ab.«
»Amanda, Nandi ist ein Mensch, dem seine Familie alles bedeutet. Er war so unglücklich, als Josiane damals gegangen ist. Das hat er mir selbst gesagt.«
Ich ließ mir noch ein paar Minuten lang Nandis tiefste Gefühle schildern und wunderte mich nur ein klein wenig, wieso Nicole ein so ungemein positives Bild von ihm malte. Ich persönlich hatte Nandi als reichlich egoistischen Mops eingeordnet, aber das mochte auch daran liegen, dass mir sein Typ nicht lag. Er gehörte zu diesen untersetzten Männern mit breitem Brustkorb und verhältnismäßig kurzem Hals, so dass er ein wenig stiernackig aussah. Das hatte er, wie ich inzwischen ja gesehen hatte, von seinem Vater. Der jedoch hatte es fertiggebracht, erheblich distinguierter auszusehen. Nandi hingegen bevorzugte einen anderen Stil und gefiel sich mit einem permanenten Dreitagebart. Wahrscheinlich fand er sich damit sexy.
»Meinst du, das Studio 1001 wäre auch was für mich, Amanda?«, unterbrach Nicole schließlich meine Gedanken.
»Natürlich. Komm doch einfach zur nächsten Stunde mit. Dann kannst du mit Halima darüber sprechen, welche Kurse du besuchen sollst.«
»Gerne, wann gehst du wieder?«
»In zwei Tagen, Freitag von fünf bis halb sieben.«
»Super, riesig, Amanda. Ich hole dich hier ab, wenn du willst.«
»In Ordnung.«
Sie sammelte ihre Unterlagen zusammen, und nach einer weiteren halben Stunde dies und das brach sie dann auf. Ich sah ihr von der Tür aus nach, wie sie beschwingt die Straße hinunterging. Sie hatte die schönen glatten Haare, die ich mir wünschte. Sietrug sie kinnlang, dunkelblond mit hellen Strähnchen. Sie flatterten hinter ihr her, als ein Windstoß sie erfasste. Auch ihr langes Kleid bauschte sich im Wind. Nicole
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