Die Herrin des Labyrints
saß bei dem Gespräch niedergeschlagen und noch immer verletzt dabei und machte kaum den Mund auf. Anschließend musste ich mich dann noch dem Verhör durch meine enttäuschte Mutter unterziehen, bei dem ich ebenfalls weitgehend verstockt und trotzig schwieg. Es waren keine direkten Vorwürfe, aber es schwang immer wieder mit, wie tief betrübt sie über mein Verhalten war.
»Wir haben versucht, dir eine gute Erziehung mitzugeben, die auf den christlichen Werten beruht, Baptista. Aber Erziehung kann nicht alles sein. Deine Veranlagung scheint sich nicht unterdrücken zu lassen. Es tut uns leid, dass wir nicht besser auf dich geachtet haben.«
So wiesen meine Eltern schließlich alle Schuld an meinem Schicksal von sich und lasteten sie meinem angeborenen Charakter an. Und der war ganz offensichtlich mit vielen Fehlern behaftet. Schon damals stand ich lange vor dem Spiegel und fragte das Bild, das ich darin sah: »Wer bist du eigentlich? Was sind das für Veranlagungen, die dich so unerträglich für die menschliche Gemeinschaft machen?« Ich fand keine Antwort, ich fand nur mehr und mehr Widersprüche in mir. Der größte, mit dem ich zu jener Zeit zu kämpfen hatte, war mein Verhältnis zu Damon. Ganz tief in mir schlummerte das Wissen, dass ich ihn einmal leidenschaftlich begehrt hatte, ja, dass ich voller Sehnsucht darauf wartete, seine Frau, seine Geliebte, seine Freundin zu werden. Doch diese Sehnsucht konnte sich nicht entfalten. Sie konnte nicht an die Oberfläche kommen und sich artikulieren, denn die Mauer aus Scham, schlechtem Gewissen und der Furcht vor den unbekannten charakterlichen Mängeln war fest und undurchdringlich geworden seit jener Nacht. Aus diesem Grund blieben wir beide dann auf Distanz zueinander, höflich, aber nicht zärtlich, rücksichtsvoll, aber nicht herzlich, manchmal sogar liebenswürdig, aber nie liebevoll.
Unsere Hochzeit war eine nüchterne Angelegenheit auf dem Standesamt, die meine Eltern widerwillig guthießen, denn als schwangere Braut gehörte ich nicht in die Kirche. Damon hatte eine größere Wohnung für uns gefunden, und in die zog ich mit ihm zusammen. Es war eine seltsame Form der Lebensgemeinschaft, die wir pflegten. In der ersten Nacht war Damon zu mir gekommen und wollte mich in die Arme nehmen. Auch wenn ich auf diese Geste gewartet hatte, sie mir ausgemalt hatte und wusste, dass alles sich zum Besseren wenden würde, wenn ich mich ihm hingab – in dem Augenblick, als es geschah, würgte plötzlich die bittere Galle in mir hoch, ich stieß ihn von mir und fand als Ausrede meine Schwangerschaft sehr nützlich, jegliche Intimitäten ablehnen zu können.
Damon war damals gerade in der Schlussphase seines Studiums und arbeitete intensiv an seiner Diplomarbeit. Ich beendete noch das Wintersemester, Anfang April sollte das Kind kommen. DieGeburt war schwer. Überraschenderweise hatte sich Damon bereit erklärt, bei mir zu bleiben. Und in diesen langen Stunden, in denen ich vor Schmerzen manchmal nicht mehr bei mir war, schien es in dieser Welt irgendwo zwischen Traum und Bewusstlosigkeit eine eigenartige Verbindung zwischen uns zu geben. Schließlich kam der Moment, in dem ich glaubte, zerrissen zu werden. Da hob ich mich über den Schmerz hinaus, sah Damon mit den Augen der Sehnsucht und spürte, irrwitzig wie auch immer und völlig unerklärbar, auch sein unbeschreibliches Verlangen nach mir.
Als ich wieder einigermaßen klar denken konnte, sagte man mir, mein Sohn Patrick sei wohlauf. Wir hatten nie darüber gesprochen, wie unser Kind heißen sollte, und ich wunderte mich, dass der Sohn Damon so viel bedeutet hatte, dass er ihm einen Namen gegeben hatte.
Damals war ich gerührt, aber jetzt, auf der Fahrt vom Tierarzt nach Hause, wurde mir klar, es hatte vermutlich auch nur die diensthabende Säuglingsschwester drängelnd mit dem Stift auf die Karteikarte geklopft, auf die sie endlich einen Namen eintragen wollte. Es war nur eine weitere bittere Erkenntnis mehr.
»Du siehst wieder aus wie die leibhaftige Baba Jaga«, sagte Patrick zu mir, als wir zu Hause angekommen waren. »Du hast dann immer zwei so verbiesterte Linien am Mund und kneifst die Lippen zusammen.«
Ertappt versuchte ich sofort, meine Gesichtszüge zu entspannen und ein Lächeln zu produzieren. Es klappte nicht auf Anhieb.
»Was ist los, hast du dich über den Arzt geärgert oder über mich?«
»Keins von beidem, Patrick. Ich habe nur dummen Gedanken nachgehangen.«
»Was für
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