Die Herrin des Labyrints
fünfundzwanzig Jahre lang sehr glücklich verheiratet. Aber sprechen wir von anderen Dingen. Sind Sie verheiratet?«
»Ich war fünfundzwanzig Monate lang sehr unglücklich verheiratet. Sprechen wir von anderen Dingen.«
»Oh, Verzeihung. Ich bin ein Trottel, nicht wahr? Schauen Sie, hier ist unser kleiner Hafen, und dort drüben …«
Harmlose Hinweise auf die landschaftlichen Reize waren die Themen der letzten zehn Minuten, dann hielten wir vor einem zauberhaften, rot verklinkerten Landhaus in einem noch zauberhafteren Garten. Eine strahlendgelb blühende Forsythienhecke umgab das Anwesen, bunte Frühlingsblumen tupften das junge Grün des Rasens, und eine riesige Trauerweide schwang ihre lichtgrünen Zweige im Wind, der mit frischen, kühlen Fingern in meine Haare griff.
»Das ist wirklich schön hier«, sagte ich, als wir durch die weißgestrichene Tür traten.
»Ich habe mir erlaubt, Sie in das Gästezimmer einzuquartieren, statt in unserem hochherrschaftlichen Hotel ein Zimmer für Sie zu bestellen. Aber wenn Ihnen die Regelung nicht recht ist, kann ich Sie auch sofort dorthin bringen.«
»Umgekehrt – ich mache Ihnen doch die Ungelegenheiten.«
»Falsch, Sie machen die, wenn überhaupt, meiner Haushälterin, und die wird dafür bezahlt, dass sie meine Gäste versorgt.«
»Na gut, dann soll sie nicht ihrer Arbeit beraubt werden!« Ich packte meine Sachen in einem hübschen, hellen Zimmer aus, das mit goldgelb nachgedunkelten Kiefernmöbeln ausgestattet war, und zog meine praktischen Jeans und Pullover aus. Ein schmales Strickkleid in mattem Mandarinrot mit einer etwas dunkleren langen Weste war eine meiner gewagteren Neuerwerbungen, die ich mir in den letzten Wochen gegönnt hatte. Die Zeit der nützlichen Arbeitskleidung war endgültig für mich vorbei.Ich löste auch den Zopf, den ich während der Reise getragen hatte, und steckte meine Haare mit zwei langen, ebenfalls mandarinroten Stäbchen zu einem hohen Knoten auf. Dann lächelte ich meinem Spiegelbild zu und dachte daran, dass Henry Vanderhorst ein ausgesprochen gutaussehender Mann war. Was war sechzig schon für ein Alter, nicht wahr?
»Sie werden in unserem braven Gasthof einschlagen wie eine Bombe«, vermutete Vanderhorst und lächelte mich an, mit einem, wie ich zufrieden feststellte, bewundernden Aufblitzen seiner Augen.
»Bin ich overdressed?«
»Aber nein. Keinesfalls. Aber Sie sind hier unter Eingeborenen, und die Kinder werden vielleicht an Ihren Ärmeln zupfen, weil sie solche Kleider noch nie gesehen haben. Hierzulande gelten geblümte Kittelschürzen schon als Haute Couture.«
»Soll ich vielleicht ein paar Glasperlen für den Häuptling mitnehmen und ein Hörnchen Met als Opfer für die heimischen Götter?«
Er lachte. »Ich merke, Sie verstehen meinen Humor. Aber ernsthaft, die Leute hier sind wirklich nett und durchaus weltoffen. Nur, wer sich tagaus, tagein mit der Landwirtschaft beschäftigt, hat ein anderes Verständnis für modische Dinge als wir städtisch angehauchten Geistesarbeiter.«
Gut, es gab ein paar neugierige Blicke, aber das Essen war ausgezeichnet, und so langsam näherten wir uns auch dem eigentlichen Thema meines Besuches. Bei dem abschließenden Kaffee hatte ich von meiner Aufgabe bei Gita erzählt und von ihrer Bitte berichtet.
»Ja, Josiane! Seit ich Ihren Brief erhalten habe, habe ich natürlich in meinen Erinnerungen nachgeforscht, um Ihnen so viel wie möglich über sie zu berichten. Kommen Sie, wir gehen zurück, ich habe mir ein paar Aufzeichnungen gemacht und ein paar alte Kalender zusammengesucht.«
Langsam schritten wir durch die klare Frühlingsnacht, Vanderhorsts leichte Gehbehinderung machte ein zügiges Ausschreiten wohl nicht möglich.
»Was möchten Sie trinken? Wein, Tee, Saft?«, fragte er, als wir uns in dem geräumigen Wohnzimmer zusammensetzten.
»Wasser am liebsten. Wir haben wohl noch etwas Arbeit vor uns.«
»Das ist schon möglich.«
Ich erfuhr also, dass Henry Vanderhorst Josiane kennengelernt hatte, als er mit siebenundzwanzig Jahren seinen ersten Auslandseinsatz in Kairo hatte.
»Sie gehörte zu den faszinierenden Geschöpfen der Nachtclubs, dem internationalen Set, das sich Abend für Abend die Zeit vertrieb, man spielte ein bisschen, trank ein bisschen, tanzte viel und flirtete noch mehr. Sie hatte Kontakt zu ein paar reichen Freunden, die sie freigiebig einluden. Aber das war mir am Anfang gar nicht so klar. Ich war jung und verliebt in das Abenteuer, das exotische
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