Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
Vom Netzwerk:
gehangen. Er hatte mich Lesen und Schreiben gelehrt, wenn er von seinem eigenen Unterricht im Tempel kam, hatte es mir in der gestohlenen Stunde der Nachmittagsruhe beigebracht. In der ersten Erregung über meinen Aufstieg beim Pharao, als mir Ägypten zu Füßen lag und die Zukunft rosig erschien, hatte ich ihn gebeten, als mein Schreiber nach Pi-Ramses zu kommen, aber er hatte abgelehnt, hatte lieber geheiratet und im Tempel von Aswat gearbeitet. Selbstsüchtig, wie ich war, hatte mich das gekränkt. Ich wollte ihn bei mir haben, wie ich in meiner Habgier alles haben wollte, wonach mein Herz begehrte und was mir in die Finger kam. Doch in den alptraumartigen Wochen nach meiner Rückkehr in Schimpf und Schande war seine liebevolle Zurückhaltung Balsam für meine Seele und meine Stütze gewesen, und er war noch immer mein Fels in der Brandung.
    Mein letzter Abschied von ihm hatte geschmerzt. Er hatte es noch einmal auf sich genommen, für mich zu lügen, hatte verbreitet, daß ich krank in seinem Haus läge, obwohl wir beide wußten, daß er streng bestraft werden würde, wenn die Sache nicht so gut ausging, wie wir uns erhofften. Jetzt lag ich hier, wund und fröstelnd unter einem Pier, mein Leben wieder einmal in Scherben, und wo war er? Gewißlich war unsere List bereits aufgeflogen. Hatte man ihn verhaftet? Oder würde der Schulze von Aswat, der ihn wie das gesamte Dorf leiden mochte und achtete, erlauben, sich frei zu bewegen, bis ich entweder in meine Verbannung zurückgekehrt war oder mich vor dem Pharao hatte rechtfertigen können? Pa-ari. Ich murmelte seinen Namen, während ich mich auf der harten Erde umdrehte. Er hatte mir seine selbstlose Liebe geschenkt, die ich nicht verdiente, und ich dankte sie ihm noch immer mit Unbill.
    An meine Eltern wagte ich gar nicht zu denken. Meine Mutter redete kaum noch mit mir, doch mein Vater hatte meine Schande mit der gleichen inneren Würde getragen, die er schon immer gezeigt hatte, und hatte mir alles an materiellem Trost gegeben, was ihm möglich war. Dennoch gingen wir verlegen miteinander um. Das tat weh, beschränkte unsere Unterhaltung auf Alltägliches und erlaubte uns nicht, die Wunden zu untersuchen, die in den Jahren meines schlimmen Lebenswandels aufgebrochen waren.
    Das Messer war mir bis zur Hüfte gerutscht, ich zog es unter mir hervor und nahm es in die Hand. Was wohl die anderen machten, Kamen und seine hübsche Takhuru und Kaha, der während der Monate in Huis Haus ein willkommener Ersatz für meinen Bruder gewesen war? Und Paiis? Hui selbst? Ich brauchte Schlaf, doch Bild um Bild raste durch mein Hirn, jedes davon angstbeladen. Zu guter Letzt klammerte ich mich an das Bild von Kamen vor meinem inneren Auge, Kamen, ehe ich wußte, daß er mein Sohn war, seine im Dämmerlicht riesengroßen Augen, als ich ihm mein Manuskript in die widerstrebenden Hände drückte, Kamen, wie er auf meiner Pritsche kniete, eine dunkle Gestalt über mir, während ich mit dem Schlafnebel kämpfte, Kamens Gesicht, blaß und verzerrt, als das Blut aus dem Hals des Mörders schoß, Kamens Hände in meinen, Kamen, mein Sohn, mein Sohn, den ich entgegen allen Erwartungen irgendwie angezogen hatte, ein Zeichen der Götter, daß sie mir vergeben hatten. Dabei wurde ich ruhig. Die Augen fielen mir zu. Ich zog die Knie hoch und schlief und wachte erst auf, als über mir geschäftige Schritte zu hören waren und das Knirschen eines strammgezogenen Taus mich aufweckte.
    Niemand schenkte mir die leiseste Aufmerksamkeit, als ich aus meinem Versteck kroch, das Messer wegsteckte und mich streckte. Ich hatte mich steif gelegen. Die frühmorgendliche Sonne fühlte sich gut auf dem Gesicht an, warm und sauber, und ich sonnte mich kurz, ehe ich mich erneut zu den Märkten aufmachte. Ich hatte nicht die Absicht, mich hinter einen Melonenstand zu stellen. Ich würde den Standbesitzern stehlen, was ich konnte, und dann vielleicht einige Zeit in einem der Tempel verbringen. Deren Vorhöfe waren stets voller Andächtiger und Tratschtanten, da konnte ich am Sockel einer Säule sitzen und die Zeit mit Zuhören totschlagen. Falls Soldaten auftauchten, würde ich in den Innenhof schlüpfen, wo stets schummrige Stille herrschte. Hoffentlich würden mich die Priester nicht hinauswerfen, ehe die Häscher wieder abgezogen waren. Was ich nicht vorausgesehen hatte, war die Langeweile, die mir neben der Angst zusetzte, und mir dämmerte, daß es schwierig werden würde, die drei Tage totzuschlagen, ehe ich

Weitere Kostenlose Bücher