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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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durchzechten Stunden und den rüden Scherzen seiner Kameraden angeheizt worden, er trat also beiseite und schlenderte davon. Mit meiner gehobenen Stimmung war es vorbei, und ich verweilte nicht länger. Beim Dahinschreiten kam mir ein letzter roter Strahl der untergehenden Sonne entgegen, bis ich um eine Ecke bog und er verblaßte. Vor mir überquerte ein schubsender, pfeifender Trupp Soldaten die Straße und verschwand in einer geöffneten Tür. Ich blickte hoch. Auf die Mauer über der Tür war ein Skorpion gemalt, der aussah, als ob er hinter ihnen herlaufen wollte. Ich hatte Kamens Bierhaus gefunden.
    Ziemlich verschüchtert schlüpfte ich hinein. Es war ein kleines, schlichtes Lokal, vollgestellt mit Tischen und Bänken, gut erleuchtet und anscheinend sauber. Noch war es halb leer, doch als ich drinnen auf der Schwelle stand, schoben sich weitere Soldaten an mir vorbei und wurden lärmend begrüßt. In einer Ecke saßen ein paar schweigsame Freudenmädchen. Sie bemerkten mich sofort und beäugten mich argwöhnisch. Sie fürchteten vermutlich, daß ich ihnen das Geschäft verderben wollte, doch nach einem Weilchen verloren sie das Interesse an mir und prüften wieder den Raum.
    Allmählich jedoch wurden die Soldaten auf mich aufmerksam. Ihre Blicke huschten über mich und wieder fort, und ich musterte sie auch vorsichtig, suchte nach jemandem, der aufmerkte oder mich nachdenklich betrachtete. Möglicherweise hatte Kamen seinem Freund bereits eine Nachricht für mich gegeben, doch die Gesichter wandten sich eines nach dem anderen ab.
    Hier konnte ich nicht bleiben. Woher sollte ich wissen, ob nicht einer von ihnen zu Paiis’ Wache gehörte, und früher oder später würde sich gewißlich jemand an meine Beschreibung erinnern, würde aufstehen und mir Fragen stellen. Diese Straße bot keine gute Bleibe. Aus der Tiefe des Raumes wehte Suppenduft bis zu mir, und mir lief das Wasser im Mund zusammen, aber ich drehte mich um und trat schnell aus dem Lampenlicht in die länger werdenden Schatten. Morgen konnte ich leicht Essen stehlen, und eine Nacht ohne würde mir nicht schaden. Ich war durstig, doch die Wasser von Avaris waren nicht weit entfernt. Dort konnte ich nach Herzenslust trinken, wenn mich der Abfall darin nicht störte. Aber es war besser, Wasser in einem der Tempel zu trinken, wo die Priester für Pilger und Andächtige große Urnen gefüllt hielten. Zu meiner Erleichterung fand ich den Weg zurück zu Ptahs Vorhof.
    Nach einem kurzen Gebet zum Schöpfer der Welt trank ich tüchtig von seinem Wasser und schlenderte in die Stadt zurück und allmählich in Richtung der Kais und Piers, wo ich übernachten wollte. Anfangs wich ich noch in das Dunkel von Toreinfahrten aus, wenn reich verzierte Sänften vorbeikamen, deren Eskorten vorn Platz schufen und hinten beschützten, vorneweg ein Diener, der warnte, ehe sie in Sicht kamen. Oft waren die Vorhänge nicht zugezogen, und ich erhaschte einen Blick auf dünnes, schimmerndes, mit Gold und Silber gesäumtes Leinen, auf eine beringte, hennarote Hand, aufflatternde, geölte Zöpfe mit Krönchen. Ich konnte es nicht riskieren, selbst nach siebzehn Jahren noch von einer meiner ehemaligen Haremsgenossinnen bemerkt zu werden. Aber es war unwahrscheinlich, daß mich noch eine wiedererkannte, ohne lange nachdenken zu müssen. Zuweilen meinte ich ein bekanntes Gesicht zu sehen, geschminkt und verschlossen, abgesondert durch seine Schönheit und Vorrechte, doch mein Herz sagte mir, daß ich nur meine vertraute Vergangenheit erblickte. Als ich mich den Piers und Lagerhäusern von Pi-Ramses näherte, wurden die Fackeln und Sänften weniger. Ich konnte freier ausschreiten, doch meine Hand fuhr zum Griff des gestohlenen Messers und blieb dort, denn die Straßen und Gassen waren dunkel, und die Menschen, denen ich begegnete, bewegten sich verstohlen.
    Am Wasserrand, vor der schwarzen Silhouette der Barken und großen Flöße, fand ich einen geschützten Winkel unter einem Pier. Dort legte ich mich hin und hüllte mich fester in meinen Kittel. Am Ende des Tunnels aus zerstampfter Erde unter mir und dem Pier über mir sah ich den Mond, der beschaulich den einschläfernd plätschernden See beschien. Meine Gedanken wanderten nach Aswat, wo der Mond schwarze Schatten auf die Dünen warf, ich meine Kleider ablegte und jede Nacht tanzte, tanzte, um den Göttern und meinem Schicksal zu trotzen.
    Vor meinem inneren Auge erschien das Bild meines Bruders. Wir hatten immer sehr aneinander

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