Die Herrin Thu
wir alle gefangen waren?
Dann Hunro, die Tänzerin, die geschmeidige, unstete Hunro, mit der ich eine Zelle und ein tödliches Geheimnis geteilt hatte. Ihre scheinbar ungekünstelte Freundschaft war Lug und Trug gewesen. Unter ihrer Herzlichkeit schlummerte eine tiefe Verachtung für meine bäuerliche Herkunft, und als mein Mordversuch am König gescheitert, als ich nutzlos geworden war, hatte sie mich erleichtert fallen lassen. Bei dem Gedanken ballte ich die Fäuste und verlor den Kontakt mit der Mauer. Er war ein Schreckensort, dieser Harem, und zugleich unvorstellbar luxuriös, und ich wollte sein üppiges Innere nie mehr wiedersehen.
Jetzt erreichte ich die letzte Ecke und spähte vorsichtig um sie herum. Die Mauer ging weiter, umfriedete die Küchen und die Quartiere der Palastbediensteten. Aber ich wollte ihr nicht länger folgen, denn vor mir, jenseits der mit Doum-Palmen besetzten großen Rasenfläche, erhob sich der massige Amun- Tempel. Die Luft darüber schimmerte vom hochwölkenden Rauch der unzähligen Weihrauchstände, die ihr stummes Gebet zu dem höchsten aller Götter hochschickten, und von fern wehte schwach, aber klar Gesang bis zu mir. Dankbar versanken meine wunden Füße in dem kühlen Gras. Auf der Rückseite des Heiligtums fand ich ein geschütztes Fleckchen, das von Gebüsch abgeschirmt war. Ich drückte das Messer an die Brust, rollte mich zusammen und war auf der Stelle eingeschlafen.
Ich wachte davon auf, daß etwas Kaltes, Feuchtes meine Wange berührte, und noch ehe ich die Augen aufgeschlagen hatte, lag das Messer schon in meiner Hand, und ich fuhr mit hämmerndem Herzen hoch. Der Übeltäter war ein geschmeidiger, brauner Hund mit langer, witternder Nase und einem mit Türkisen und Karneolen besetzten Halsband. Ich hörte eine herrische Stimme rufen und wartete nicht ab, wer vielleicht nach dem Hund suchte. Ich schob ihn beiseite, schlich mich seitlich um das Gebüsch und rannte fort, und unversehens fand ich mich zu meinem Schreck auf Amuns großem Vorhof wieder. Hier drängten sich bereits die abendlichen Andächtigen, und da merkte ich, daß ich den Nachmittag verschlafen hatte und wie durch ein Wunder nicht entdeckt worden war. Das war sehr dumm von mir gewesen.
Einen Augenblick lang stand ich zitternd am Rande der wimmelnden Menschenmenge, dann riß ich mich zusammen, stahl mich um sie herum und strebte wieder der Stadtmitte zu. In der kommenden Nacht mußte Kamen eine ermutigende Botschaft schicken, denn allmählich wurde ich ängstlich und müde. Immer wieder überkam mich die Verzweiflung, und panische Angst drohte mich zu überfallen. Ich konnte nicht ewig Paiis’ Soldaten ausweichen und ziellos herumwandern. Als ich das erkannte, fiel mir wieder ein, daß es einen Ort gab, wo Paiis mich niemals suchen würde.
Ich mußte warten, bis es dunkel war, dann würde ich mich auf Huis Anwesen schleichen. Vielleicht auch gleich in Huis Haus. Schließlich kannte ich mich dort genauso gut aus wie in der elenden kleinen Hütte in Aswat. In Wahrheit besser, denn seine gefliesten Böden und bemalten Wände waren für mich oftmals wirklicher gewesen als die baufällige Hütte, in der ich die letzten siebzehn Jahre gehaust hatte. Warum nicht? sagte ich zu mir, als ich mich unter das lärmende Gedrängel mischte, in dem die Menschen die letzten Nahrungsmittel des Tages kaufen wollten. Er hat keine Wachtposten. Dafür ist er zu eingebildet. Sein Ruf als Zauberer hält ihm das Volk vom Hals, doch ich habe keine Angst vor seiner Gabe. Seinen Türhüter umgehe ich leicht, und dann bin ich in seinem Garten geborgen und weit weg von Menschenmassen und Dreck und Soldaten.
Doch das war nur eine Ausrede, und ich wußte es, denn tief im Herzen sehnte ich mich danach, ihn wiederzusehen, den Mann, der für mich Vater und Lehrer, mein Liebhaber und mein Untergang gewesen war, und das Bedürfnis war stärker als alle Vernunft. Würde ich ihn umbringen oder mein Gesicht in seinem schönen weißen Haar bergen? Ich wußte es nicht.
Nachdem die Idee einmal Besitz von mir ergriffen hatte, hielt mich nichts mehr. Der Hunger war mir vergangen, desgleichen mein Wunsch nach Unsichtbarkeit in der Menge. Durch Gäßchen arbeitete ich mich langsam, langsam in östlicher Richtung vor, während das helle Tageslicht verblaßte und von Rosig zu Hellgelb und Rot wechselte, und als ich dann den Weg erreicht hatte, der sich hinter den meisten großen Anwesen entlangzog, war die Sonne untergegangen.
Huis Mauer konnte
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