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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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Gedanken um ihn, den schönen jungen Mann, von dem ich noch immer nicht glauben konnte, daß er mein Sohn war, doch ich verscheuchte sie. Es wurde allmählich Nachmittag. Ich brauchte Wegweisung, Essen, ein Versteck. Mütterliche Freude und Stolz würden warten müssen. Ich spürte, wie jemand an meinem Kittel zupfte. Der Standbesitzer war aufgewacht. „Falls du nichts kaufen willst, geh weiter“, brummelte er. „Such dir woanders Schatten. Du versperrst meinen Stand.“
    „Kannst du mir sagen, wie ich zur Straße der Korbverkäufer komme?“ fragte ich ihn und trat gehorsam zurück in den gleißenden Sonnenschein. Er zeigte vage in die Richtung hinter sich.
    „Da runter, an Ptahs Vorhof vorbei“, antwortete er. „Aber sie ist weit weg.“
    „Hast du vielleicht eine Melone für mich übrig? Ich bin hungrig und sehr durstig.“
    „Kannst du zahlen?“
    „Nein, aber ich könnte auf deinen Stand aufpassen, während du dich an einem Becher Bier erfrischst. Es ist ein heißer Tag.“ Er musterte mich mißtrauisch, und ich schenkte ihm das strahlendste Lächeln, das ich aufbringen konnte. „Ich würde dir auch nichts stehlen“, versicherte ich ihm. „Außerdem, wer stiehlt schon Melonen? Ich habe keinen Beutel. Aber ich möchte mich nicht vor einen Tempel setzen und betteln.“ Ich streckte einen Finger hoch. „Eine Melone für die Zeit, die du brauchst, um einen Becher Bier zu trinken.“ Er knurrte eher, als daß er lachte.
    „Du besitzt eine Schmeichelzunge“, sagte er. „Na schön. Aber wenn du mich bestiehlst, hetze ich die Polizei auf dich.“ Mein Lächeln wurde noch breiter. Die war ohnedies schon hinter mir her, doch gewißlich würde sie nicht nach einer Frau Ausschau halten, die mit je einer Melone in der Hand in einer Bude stand und Vorübergehende anlockte. Ich nickte. Er wickelte sich ein Leinentuch als Sonnenschutz um den kahlen Schädel, sagte mir, wie viel Geld ich nehmen sollte, und schlenderte davon, und ich stellte mich an seiner Stelle in den Schatten. Wie gern hätte ich das Messer genommen, das auf dem Tisch neben einem großen Haufen gelber Früchte lag, und hätte eine seiner Melonen aufgeschnitten, doch ich widerstand der Versuchung, obwohl mir der Mund wäßrig wurde. Ich nahm zwei in die Hand und pries der wimmelnden Menschenmenge ihre Vorteile an, und meine Stimme vermischte sich mit dem Singsang der anderen Verkäufer. Für ein Weilchen war ich meine Sorgen los.
    Als der Händler dann zurückkam, hatte ich neun Melonen verkauft, eine davon an einen Soldaten, der mich flüchtig musterte, ehe er sein Messer zückte, seinen Kauf aufschnitt und wieder in der Menge verschwand. Mein neuer Arbeitgeber knallte einen Krug Bier auf den Tisch und zog einen Becher aus den Falten seiner Tunika. Dann rollte er mir eine Melone zu, warf ein Messer hinterher, schenkte ein und bot mir zu trinken an. „Ich habe gewußt, daß du noch da bist“, prahlte er. „Ich bin ein guter Menschenkenner. Trink. Iß. Was hast du in Pi-Ramses zu suchen?“ Das Bier, billig und trübe, floß mir himmlisch kühl die Kehle hinunter, und ich leerte den Becher bis zur Neige, ehe ich mir den Mund mit der Hand abwischte und die Melone zerteilte.
    Ich bedankte mich bei ihm, und zwischen zwei Mundvoll von der saftigen Frucht band ich ihm eine nichtssagende Geschichte von einer Familie aus der Provinz auf, die sich meine Dienste nicht länger leisten könne, so daß ich gezwungen sei, nach Norden auf Arbeitssuche zu gehen. Meine kurze Geschichte wurde zweimal von Melonenkäufern unterbrochen, doch der Standbesitzer lauschte ihr aufmerksam, und als ich die Lügengeschichte beendet und die Frucht aufgegessen hatte, machte er mitfühlend „tss, tss“.
    „Ich habe gemerkt, daß du bei einer adligen Familie gewesen bist“, rief er. „Du redest nicht wie eine Bäuerin. Falls du kein Glück hast, ich könnte dich ein, zwei Tage bei meinem Stand gebrauchen. In der Regel hilft mir mein Sohn, aber der ist gerade nicht da. Melonen und Bier umsonst. Was sagst du dazu?“ Ich zögerte, dachte rasch nach. Einerseits mußte ich ständig in Bewegung bleiben, mußte kommen und gehen können, wie es mir beliebte, doch andererseits hatte ich keine Ahnung, wie lange ich mich ohne eine andere Hilfe als meinem gescheiten Kopf in der Stadt herumtreiben mußte. Vielleicht war dieser Mann ein Geschenk meines teuren Wepwawet.
    „Das ist sehr nett“, sagte ich bedächtig, „aber ich möchte mit meiner Antwort gern noch bis morgen

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