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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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Bäumen längs der Mauer üppig gedieh, blickte ich auf den menschenleeren Hof und das massige Haus dahinter.
    Nichts rührte sich. Der Kies auf dem Hof leuchtete schwach, doch unter den Säulen vor dem Haus war es dunkel. Natürlich saß vor der Tür ein Diener, der Gäste empfing und Sänften herbeirief, wenn Gäste aufbrechen wollten. Doch auf dem Hof warteten weder Sänften noch gelangweilte Träger. Überall herrschte Stille, und meine Augen bemühten sich, sie zu durchdringen. Diese Stille, so fiel es mir plötzlich wieder ein, war eigentümlich für Huis Reich gewesen und hatte etwas Zeitloses. Ich mußte gegen das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit ankämpfen, das mich überfiel. Das hier war einstmals mein Zuhause gewesen, eine heile Welt voller ungefährdeter Träume und aufregender Entdeckungen unter dem Schutz meines Gebieters. Jedenfalls hatte ich mir das eingebildet.
    Ich zog mich zurück und setzte mich auf den Rasen. Er konnte noch nicht zu Bett gegangen sein. Dazu war es noch zu früh. Vielleicht arbeitete er in seinem Arbeitszimmer, und von meinem Platz aus konnte ich den Schein seiner Lampe nicht sehen. Und dann fiel mir wieder ein, daß er ja doch einen einzigen Wachtposten hatte, der die ganze Nacht vor seiner Arbeitszimmertür stand, denn innen im Zimmer gab es einen zweiten Raum, in dem Hui seine Kräuter und Arzneien aufbewahrte. Und seine Gifte. Die Tür zu jenem Raum war mit den komplizierten Knoten gesichert, die er mich gelehrt hatte, doch ein entschlossenes Messer konnte das Seil durchtrennen, und so war der Posten eine zusätzliche Absicherung, falls jemand so töricht war, einen Einbruch zu wagen. Der erste Raum öffnete sich direkt auf den Gang, der sich aus dem hinteren Teil des Hauses bis zur Eingangshalle zog, und wenn ich dort ins Haus wollte, würde man mich sofort entdecken. Ich mußte entweder hinein, ehe Hui das Arbeitszimmer abschloß, oder warten, bis der Diener am Fuße der Säulen seinen Posten verließ, und dann vorn ins Haus schlüpfen.
    In diesem Augenblick entstand auf dem Weg eine Unruhe aus Fackelschein und Stimmengemurmel. Ich kroch zur Mauer und riskierte einen weiteren Blick. Als ich vorsichtig den Kopf hob, wurde das Haus auf einmal lebendig. Türen gingen auf, Licht fiel auf den Kies. Eine große Gestalt tauchte auf und stand erwartungsvoll da, während die Pforte zu meiner Rechten knarrte, vier Sänften über den Hof schwankten und vor den Säulen abgesetzt wurden. Die Vorhänge wurden aufgezogen, und mich überlief es kalt, denn aus einer Sänfte tauchte Paiis auf, so unverschämt anmutig wie eh und je und wie ich ihn in Erinnerung hatte, und nun hatte ich keine Augen mehr für die anderen Gäste, die jetzt ihre Sandalen auf den Boden setzten und begrüßt wurden.
    Paiis hatte sich nicht sehr verändert. Vielleicht war er etwas dicker geworden, und ich konnte auch nicht ausmachen, ob seine schwarze Mähne bereits von Silber durchzogen war, doch das Gesicht, das er kurz der Frau hinter sich zuwandte, war noch immer so umwerfend schön wie früher mit den wachen, schwarzen Augen, der vollkommen geraden Nase und dem vollen Mund, der stets aussah, als wollte er spöttisch lachen. Er trug einen schenkellangen Schurz aus dunkelrotem Leinen, und seine Brust war von einem Pektoral mit goldenen Kettengliedern verdeckt. Seine animalische Anziehungskraft hatte auf mich nicht mehr die Wirkung wie in meiner Jugendzeit, ich wußte, daß sie schal war. Dennoch machte seine aufdringliche, etwas gewöhnliche Schönheit rein körperlich noch immer Eindruck auf mich. Er legte der Frau einen Arm um die nackte Schulter und hob den anderen zum Gruß. „Harshira!“ rief er. „Schenk den Wein ein! Sind die Nußpasteten heiß? Ich bin heute in Feierlaune. Wo ist mein Bruder?“ Die Frau hob den Arm und murmelte ihm etwas ins Ohr, was ihn zum Lachen brachte, und schon glitt ihre Hand zu seinem muskulösen Bauch, und dann verschwanden sie mit den anderen Festgästen in der Eingangshalle. Die Türen wurden geschlossen, doch jetzt fiel Licht durch die Seitenfenster, und von fern hörte ich Musik.
    Ich gab ihnen Zeit, vor ihren niedrigen, blumenbestreuten Tischchen Platz zu nehmen, Artigkeiten mit ihrem Gastgeber auszutauschen und reichlich Wein zu trinken, der meines Wissens zum Besten zählte, was die Stadt zu bieten hatte.
    Ich gab Harshira Zeit, die Halle zu durchqueren, die Diener mit ihren beladenen Tabletts anzuführen und dann seinen Posten hinter der geschlossenen Tür des

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