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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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nicht haben willst. Außerdem gehöre ich noch immer dem König, oder hattest du das vergessen? Und zu diesem König gehen Kamen und Men und, ja, und auch Kaha in diesem Augenblick mit einer Abschrift meines Manuskripts. Paiis hat nicht gewußt, daß es existiert, und eine Erzählung von versuchtem Mord und Pharaonenjustiz wird man nicht übersehen können. Tritt zurück, oder ich erdolche dich.“ Er gehorchte, doch vorher blitzte es in seinen roten Augen auf, und das kannte ich: Es war ein vorübergehender Anfall von Wollust und Bewunderung. Ich lächelte. „Gefahr hat dich schon immer erregt, was, Hui?“ sagte ich, und die Worte waren mir noch nicht von den Lippen, da war mir klar, daß ich bis zu seinem geheimnisvollen inneren Kern durchgedrungen war. „Gefahr, Verschwörungen, das alles zusammen bietet dir eine Fluchtmöglichkeit vor der Last der Gabe, die dir die Götter geschenkt haben. Eigentlich müßtest du jetzt lichterloh brennen, denn noch nie hast du in größerer Gefahr geschwebt als im Augenblick. Paiis kann uns nicht allesamt zum Schweigen bringen.“
    Er kehrte zum Stuhl zurück, setzte sich mit der gewohnten lockeren Anmut, stützte einen Ellenbogen auf die Seitenlehne, legte das Kinn in die Hand und musterte mich mit berechnendem Blick.
    „Kaha auch?“ murmelte er. „Das tut weh. Die Treue eines Schreibers sollte über allen Zweifel erhaben sein.“
    „Seine Treue ist über allen Zweifel erhaben“, gab ich zurück und hätte ihn am liebsten geschüttelt, damit er endlich die Beherrschung verlor. „Sie gilt der Maat und der Gerechtigkeit.“
    „Sie gilt dem, was er bei deinem Anblick zwischen seinen Schenkeln spürt“, fauchte er zurück. „Falls ich wollte, ich könnte augenblicks auf dir liegen.“ Ich ergriff das Heft des Messers mit beiden Händen und zielte auf ihn.
    „Versuch es, Hui“, höhnte ich. „Ich habe weniger zu verlieren als du.“
    Ein taktvolles Klopfen an der Tür bewahrte uns vor weiteren Ausbrüchen. Der Diener trat mit einem Tablett ein, das er auf Huis kurz angebundene Anweisung hin auf dem Tisch neben dem Lager abstellte, dann zog er sich ohne auch nur einen Blick in meine Richtung in sein Zimmer zurück. „Bediene dich“, sagte Hui.
    Ich näherte mich dem Tisch. Der Wein war noch versiegelt. Ich ging zu der Truhe, neben der ich mich eben noch versteckt hatte, klappte den Deckel auf und stöberte darin herum, bis ich einen Leinenbeutel zum Zuziehen gefunden hatte. Wieder am Tisch, stopfte ich den Weinkrug, den Brotlaib, eine Handvoll Feigen und Ziegenkäse hinein. Hui beobachtete mich schweigend. Als ich fertig war, blickte ich ihn an. „Sag jetzt nichts“, warnte ich ihn. „Ich trage dein Kleid und nehme dein Essen, doch du schuldest mir viel mehr als das. Du schuldest mir siebzehn Jahre harte Arbeit und Verzweiflung, und wenn man dich verhaftet hat, komme ich zu deinem Prozeß und fordere den Rest der Schuld ein. Ich hasse dich und flehe zu den Göttern, daß du das gleiche Urteil erhältst, das ich deinetwegen erdulden mußte, daß du in einem leeren Zimmer eingeschlossen wirst, bis du an Durst und Hunger stirbst. Und ich sitze dann draußen vor der Tür und höre mir an, wie du um Gnade winselst, und dieses Mal wird es keinen Pharao geben, der sich erbarmt und dein Leben verschont.“
    Er rührte sich nicht. Doch allmählich breitete sich ein Lächeln auf seinem bleichen Gesicht aus, und eine weiße Braue zuckte. „Thu, mein Schatz“, sagte er. „Du mußt mich nicht hassen. In Wahrheit liebst du mich mit einer Leidenschaft und Beharrlichkeit, die dich erbost, und darum bist du heute Abend hier hergekommen. Warum sonst würdest du mich wohl vor meiner unmittelbar bevorstehenden Verhaftung warnen? Angenommen natürlich, daß es Paiis nicht gelingt, euch alle zu vernichten, eine Aufgabe, die er vermutlich trotz deiner eifrigen gegenteiligen Beteuerungen vollenden dürfte. Und falls der unwahrscheinliche Fall eintreten sollte, daß ich wegen Hochverrats vor Gericht komme und mein Urteil lautet, ich soll mir das Leben nehmen, was bliebe dir, abgesehen von der netten, doch ziemlich unbefriedigenden Beziehung zu deinem Sohn? Denn du bist wie ich, Thu, ich habe dich erschaffen, und ohne mich bist du nichts als eine leere Hülse. Der lebensspendende Samen wäre fort.“
    Ich sah ihn nicht mehr an, sondern umklammerte den Beutel mit der einen und das Messer mit der anderen Hand und ging zur Tür. „Möge Sobek deine Knochen zermalmen“, flüsterte ich,

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