Die Herrin Thu
„und möge die ewige Finsternis der Unterwelt über deinem Kopf zusammenschlagen.“ Tastend gelangte ich auf den dunklen Gang. Vor dem Arbeitszimmer war der Wachtposten aufgezogen, doch ich schob mich an ihm vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Die Eingangshalle mit ihren hochragenden Säulen lag verlassen, ich durchquerte sie eilig. Aber auch wenn tausend Festgäste sie bevölkert hätten, es wäre mir einerlei gewesen.
Denn Hui hatte recht. Ich liebte ihn und haßte mich für diese Liebe wie eine Gefangene, die ihren Folterknecht gleichermaßen verabscheut und vergöttert. Kein Erlaß des Pharaos, kein Urteil der Götter konnte ihn bewegen, mich auch zu lieben, nur ich würde mich bis zu meinem letzten Atemzug hilflos nach ihm sehnen. Ich wollte ihm die eindringlichen Augen ausstechen. Ich wollte ihm mein Messer tief in die Eingeweide stoßen und zusehen, wie sein Blut warm über meine Hände rann. Ich wollte ihn umschlingen und spüren, wie sich sein Körper an meinem entspannte und einwilligte. Tränenblind vor Wut und Schmerz stolperte ich über den Hof, fand die kleine Pforte und schob mich in den raschelnden, schützenden Garten. Als ich wieder zu mir kam, war ich bereits an den schläfrigen Wachtposten vorbeigewatet und befand mich auf dem Weg am See in Richtung Stadt.
Halb betäubt drückte ich mich an die raue Mauer einer Gasse, während eine Reihe beladener Karren an mir vorbeiratterte. Meine Füße und Beine waren mit getrocknetem Flußschlamm bedeckt, und das zarte Hemdkleid, das ich in Huis Badehaus gestohlen hatte, trocknete grau und steif an meinen Schenkeln. Es wurde Zeit, erneut zum Goldenen Skorpion zu gehen und auf eine Nachricht von Kamen zu warten, Pläne zu schmieden. Doch noch eine geraume Weile, nachdem die Karren mit ihren wiehernden Eseln weitergerumpelt waren, konnte ich mich nicht bewegen. Meine Gedanken rasten, und aller Mut hatte mich verlassen. Erst als mir aufging, daß ich mir heiß und innig wünschte, auf meiner Pritsche in der elenden kleinen Hütte zu liegen, die mir in Aswat Heim gewesen war, besann ich mich wieder und gab mir Mühe, mich unauffällig unter die vorbeiströmende Menschenmenge zu mischen.
Er hatte nicht gesagt, daß er mich nicht liebte, in Wirklichkeit hatte er überhaupt keine Gefühle geäußert. Sein Ka war besser behütet als der König auf einem königlichen Umzug. Doch in der Vergangenheit hatte ich bemerkt, wie sein Schutzschild löchrig wurde, wenn er mich ansah, und während ich mich durch den fackelerhellten Wirrwarr der städtischen Straßen schlängelte, rief ich die Erinnerungen absichtlich wach. Sie waren wie Balsam auf der schmerzenden Wunde, die seine Worte geschlagen hatten. Als er mich als formlosen Lehmklumpen aus meinem Dorf holte und mich so modellierte, wie er mich haben wollte, meine Gedanken formte und meine Wünsche lenkte, da hatte er sich mit seiner eigenen Schöpfung eingelassen. Und wenn er in meinem Kopf und Herzen als der Erbauer und Urheber von allem wohnte, was ich wurde, dann ging auch ich ihm ins Blut wie eine Krankheit, die er sich unabsichtlich zugezogen hatte.
Ein einziges Mal hatten wir uns geliebt, in seinem Garten, an dem Abend, an dem meine Ängste und meine Verzweiflung ihren Höhepunkt erreichten und ich beschloß, den König umzubringen. Und dieser Entschluß war so kühn, daß er eine jähe Lust angeheizt hatte, o ja, doch Hui gehörte nicht zu den Menschen, die lediglich der Begierde eines Augenblicks nachgaben. In unsere beiderseitige Erregung und unsere Schuldgefühle hatte sich unterschwellig echtes Gefühl gemischt. Doch er hatte es geleugnet, leugnete es noch immer, weil er überleben wollte, und Rachedurst hatte die Sehnsucht meines eigenen Herzens überschattet.
Und rächen werde ich mich, sagte ich bei mir, als der Schmerz nachließ und ich mich der geöffneten Tür des Goldenen Skorpions näherte. Kein Andenken kann süßer schmecken als der Geschmack von Huis Sturz auf meiner Zunge. Ich blieb stehen und wischte mir so viel Dreck von Beinen und Kleid, wie ich schaffte, schob das Messer in den Leinenbeutel und trat in das freundliche gelbe Lampenlicht.
Der Raum war angenehm voll. Wie schon vorher wandten sich mir ein paar Köpfe zu, und ich stand ein Weilchen dort, machte mich für jemanden bemerkbar, der auf mich wartete, dann drängelte ich mich nach hinten in eine Ecke und schlüpfte auf eine der Bänke.
Der Besitzer kam, doch ich sagte, ich würde auf jemanden warten. Er zögerte, der
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