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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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nur einen Brummschädel.“
    „Ich bin nicht betrunken“, beharrte er. „Tut mir leid, aber du mußt mich zu meiner Dienststelle begleiten.“ Da wußte ich, daß es aussichtslos war, ihm Zweifel einzureden, die er eindeutig nicht hatte. Doch in meiner Verzweiflung probierte ich es noch einmal.
    „Deine Dienststelle?“ sagte ich verächtlich. „Du bist kein Soldat. Wo ist denn dein Rangabzeichen?“
    „Meine Dienststelle ist mein Hauptmann, und der hat den Befehl von Prinz Ramses erhalten. Ich bin heute Abend nicht im Dienst.“
    „Dann darfst du mich auch nirgendwohin bringen. Für wie dumm hältst du mich?“ Er lächelte nicht einmal.
    „Weit gefehlt“, sagte er. „Sonst wären die Division des Prinzen und die städtische Polizei nicht alarmiert worden, heute Abend in ganz Pi-Ramses nach einer blöden Bäuerin zu suchen. Ich muß gestehen, daß ich furchtbar gern wüßte, welch schändliches Verbrechen du begangen hast, auch wenn mich das nichts angeht. Du solltest dich lieber in das Los fügen, das dich erwartet, Thu aus Aswat, denn da ich dich gefunden habe, ist es meine Pflicht, dich zu meinem Vorgesetzten zu bringen. Ich habe zwar heute Abend dienstfrei, er aber nicht.“
    Nach dem ersten Entsetzen brach mir der kalte Schweiß aus. Ich zwang mich, ganz locker zu werden und die Schultern sinken zu lassen. „Na schön“, sagte ich erschöpft. „Geh voraus.“ Ich hätte gern nach dem Messer getastet, das zusammen mit dem Essen noch immer in Huis Leinenbeutel steckte, aber mein anderer Arm steckte in seinem Klammergriff. Bei meinen Worten ließ der junge Mann etwas los und machte einen Schritt. Sofort drehte ich den Kopf und biß ihn in den Unterarm. Er jaulte auf, und als er den Arm wegzog, versetzte ich ihm einen harten Stoß in die Brust und lief auf die hell erleuchtete Durchgangsstraße zu. Dort waren Menschen. Dort könnte ich in der Menge untertauchen, mich verstecken.
    Doch ich hatte die Rechnung ohne das verflucht modische Kleid gemacht, das ich in Huis Badehaus entwendet hatte. Es war von der Hüfte bis zu den Knöcheln so schmal geschnitten, daß ich nur humpeln konnte, und ehe ich mich versah, stolperte ich und lag auf den Knien im Dreck. Außer mir riß ich an dem einzigen, seitlichen Saum, doch der Faden widerstand meinen fieberhaft arbeitenden Nägeln, während der Soldat, der sich wieder gefaßt hatte, laut um Hilfe rief und gleich darauf eine Schar seiner Freunde aus dem Goldenen Skorpion stürmte. Stolpernd kam ich wieder hoch, zog mir den Rock bis zu den Oberschenkeln und stürzte der Freiheit entgegen, doch da war es bereits zu spät. Raue Hände packten mich am Haar, zerrten mich zurück, und ein Arm legte sich um meinen Hals. „Betrachte dich als Gefangene des Horusthrons“, keuchte der junge Mann.
    Sie banden mir die Hände zusammen und marschierten mit mir durch die Stadt. Zwar waren ein paar von ihnen tatsächlich betrunken, und sie lachten und freuten sich über ihr Glück, daß sie solch eine gefährliche Verbrecherin festgenommen hatten, aber der, der mir gefolgt war und mich angehalten hatte, war nicht betrunken und überzeugte sich, daß die anderen mich dicht umringten.
    Einer ging voraus und warnte die Leute, daß sie den Weg freigaben, und ich schritt durch ein Meer von neugierigen Gesichtern, einige mitfühlend, einige feindselig, allesamt aber begafften sie die zerzauste Frau, deren Schicksal, den Göttern sei Dank, nicht das ihre war.
    Ich sah sie nicht an, sondern erblickte hinter ihnen dunkle, einladende Toreinfahrten oder dämmrige Gassen, die sich ins Dunkel schlängelten. Doch es bot sich keine Gelegenheit zur Flucht, und schließlich wurde ich erschöpft und schicksalsergeben in ein kleines Gebäude aus Lehmziegeln geführt und vor einem Schreibtisch abgeliefert, hinter dem ein uniformierter junger Mann aufstand. Meine Häscher verschwanden, nachdem sie mir die Fesseln abgenommen und mir meinen Beutel zurückgegeben hatten.
    Nach einer kurzen Pause, in welcher der Blick des Mannes unverwandt auf meinem Gesicht ruhte, nickte er, ging um den Schreibtisch herum und stellte mir einen Schemel hin. Dankbar ließ ich mich niedersinken und wartete, während er meinen Beutel öffnete, den Inhalt untersuchte und dann das Messer und den ungeöffneten Weinkrug hervorholte. „Guter Wein vom Westlichen Fluß aus dem Jahr 16“, sagte er. „Gehört er dir?“
    „Ja.“
    „Darf ich ihn aufmachen? Teilst du ihn mit mir?“ Achselzuckend sagte ich:
    „Warum

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