Die Herrin Thu
hast mich benutzt und verraten und mich im Harem der Demütigung, dem Prozeß und dem Tod überantwortet. Du hast mich aufgezogen, du hast mir alles bedeutet, und du hast mich verlassen, um die eigene Haut zu retten. Ich hasse dich. Ich hasse dich. Die vergangenen siebzehn Jahre habe ich darüber nachgedacht, wie ich dich am besten umbringe, und nun bin ich hier und tue es auch.“ Das Messer fühlte sich nicht mehr so unhandlich an. Ich umklammerte es fester, ging auf das Lager zu, doch da blendete mich jäh aufflammendes Licht. Hui saß mit dem Zunder in der Hand, und die Flamme in der Lampe wurde wieder zum stetigen Schein.
Wir blickten uns so lange an, daß es mir wie eine Ewigkeit vorkam. Er hatte eine leicht belustigte Miene aufgesetzt, trotzdem spürte ich dahinter Wachsamkeit und vielleicht, ja, vielleicht leise Trauer. Meine Finger um den Messergriff wurden taub. Wie vor langer, vor sehr langer Zeit stand ich angewurzelt und konnte mich nicht rühren.
Mir fiel ein, wie er im Mondschein nackt im Fluß stand und ganz aus schimmerndem Silber war, während er die Arme zum Mond, seinem Schutzgott, erhob. Ich erinnerte mich, wie er hinter seinem Schreibtisch saß, eingerahmt vom Blattwerk vor dem Fenster, und mich mit strenger Miene schalt. Ich sah ihn vor mir, wie sein Haar seine Wange bedeckte, wenn er sich über seinen Stößel bückte und sich ganz auf die Kräuter konzentrierte, die er zerstieß, und wir von den bittersüßen Düften jenes inneren Heiligtums umgeben waren, in dem er am meisten er selbst war. „Nun?“ half er nach und hob die Brauen. „Ist dein Messer nicht scharf genug? Soll ich einen Schleifstein holen lassen? Oder ist dein Wille nicht fest genug? Erinnerst du dich an die guten Dinge statt an die Zeiten, die deine ehrliche Bauernseele zutiefst getroffen haben müssen? Die Erinnerung ist eine unversöhnliche Waffe, liebe Thu. Willst du mich nun erdolchen oder nicht? Du hast doch ausreichend Übung im Morden. Das hier dürfte dir leicht fallen.“ Er besaß noch immer die unheimliche Gabe, meine Gedanken lesen zu können. Mir sank der Mut.
„O Hui“, flüsterte ich. „O Hui. Du hast dich nicht verändert. Du bist noch immer hochfahrend und grausam und so wahnsinnig selbstbewußt. Hast du dich nicht ein einziges Mal gefragt, wie mein Leben in Aswat war? Bereust du denn gar nicht, was du mir angetan hast?“
„Natürlich habe ich mich das gefragt“, sagte er barsch, ließ sich vom Lager gleiten und griff lässig nach dem Schurz, den er vorhin abgelegt hatte. „Aber ich kenne dich sehr gut. Du überlebst, liebe Thu. Du bist die zähe, kleine Wüstenblume geblieben, die selbst in der kärgsten Umgebung noch Nahrung findet. Nein, um dich habe ich mir keine Sorgen gemacht, und was Reue angeht, so hast du im Harem versagt, und ich habe getan, was ich tun mußte. Mehr nicht.“ „Entschließe dich“, sagte ich trocken. „Gerade war ich noch ein zerrupftes Vögelchen, keine Wüstenblume.“ Er musterte mich von Kopf bis Fuß kühl und abschätzend, und trotz meiner fast humorvollen Entgegnung mußte ich mich innerlich gegen die gewißlich kommende spöttische Antwort wappnen.
„Wie alt bist du jetzt?“ wollte er wissen. Er hatte sich den Schurz umgebunden, sich auf einem Stuhl niedergelassen und die Beine übereinandergeschlagen. Seine Waden waren noch straff, die weißen Füße hatten noch den hohen Spann und waren nicht ausgetreten. Ich wagte nur, sie mit halbem Auge zu mustern, denn er sollte nicht mitbekommen, daß ich schwach wurde.
„Ich stehe im dreiunddreißigsten Jahr“, sagte ich. „Aber das mußt du nicht fragen, denn ich war dreizehn, als du mich aus dem Dreck von Aswat geholt, und siebzehn, als du mich wieder hineingeworfen hast.“
„Dein hitziges Temperament hat sich nicht gebessert“, meinte er. „Augenscheinlich nicht“, blaffte ich zurück, „denn falls das so wäre, stünde ich hier nicht ohne Schminke oder Geschmeide oder Sandalen an den Füßen. Hui, warum sagst du es nicht? Du kannst es doch gar nicht erwarten, mir unter die Nase zu reiben, was für ein Wrack ich geworden bin.“ Eines mußte man mir lassen, das Zittern, das ich verspürte, machte sich nicht in meiner Stimme bemerkbar. Jetzt lächelte er, doch seine Miene blieb undurchschaubar.
„So ist die Tempelsklavin noch immer eitel“, höhnte er. „Deine Haut ist rau wie Krokodilshaut. Deine Füße sind breitgetreten und nicht mehr zart, und man kann kaum noch die Knochen sehen. Dein Haar
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