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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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Lager. Er war noch immer bestürzend, abartig schön mit dem ungebrochenen Weiß seiner Haut, dem aschfarbenen Silbergrau seiner Haare, die ihm auf die Schultern fielen und sich auf dem Schlüsselbein lockten.
    Er bückte sich und wollte die Lampe ausblasen, umfaßte sie mit langen Fingern, und in diesem Augenblick waren seine Züge hell erleuchtet. Die Linien zu beiden Seiten des weichen, scharf gezeichneten Mundes, den zu küssen ich geträumt hatte und der nur zweimal den meinen berührt hatte, waren vielleicht tiefer. Das war alles. Die Zeit hatte es gut mit ihm gemeint, mit dem Mann, der selbst der Herr der Zukunft war, und auf einmal überfiel mich das hoffnungslose Verlangen von früher so jäh und schmerzlich, daß ich ein Geräusch, wie leise auch immer, gemacht haben mußte, denn mitten im Lampenauslöschen stutzte er, stand noch gebückt und blickte dann starr geradeaus. Einen berauschenden Augenblick lang schien sein Blick mich geradewegs zu durchbohren, glitzernd rot und unversehens wachsam, doch dann blies er, und die Flamme erlosch. In dem undurchsichtigen Dunkel hörte ich ihn zum Lager gehen. Ich schloß die Augen, damit sie sich rascher umstellten, und als ich sie wieder aufmachte, konnte ich auf dem Fußboden vor dem offenen Fenster ein Rechteck aus hellerem Grau und einen Teil des Lagers ausmachen.
    Huis langsamer Atem wurde regelmäßiger, doch allmählich gelangte ich zu der Überzeugung, daß er nicht schlief, sondern mit offenen Augen dalag und auf mich wartete. Mir wurde übel bei dem Gedanken an unsere erste Begegnung. Er war nach Aswat gekommen, um sich mit den Priestern Wepwawets in Sachen des Pharaos zu beraten. Das Dorf war in heller Aufregung, die Gerüchteküche brodelte wegen des berühmten und geheimnisvollen Sehers, den nur wenige gesehen hatten, weil er wie ein Leichnam immer von Kopf bis Fuß in Binden gewickelt ging, unter denen er irgendeine schreckliche Entstellung verstecken wollte. Da war ich bereits wild entschlossen, ihn aufzusuchen und ihn zu bitten, für mich in die Zukunft zu sehen. Meine große Angst, für den Rest meines Lebens in Aswat festzusitzen, Kindern auf die Welt zu helfen wie meine Mutter und vorzeitig verbraucht und alt zu werden, war größer als meine Furcht vor dem Ungeheuer, das durch das Getuschel der Frauen noch schlimmer gemacht wurde. Mitten in der Nacht hatte ich mein Elternhaus in Aswat verlassen, war zu seiner Barke geschwommen, an Deck geklettert und in die dunkle, erstickend enge Kabine geschlüpft. Doch dann hatte ich dagestanden und die verschwommene Erhebung unter dem Laken angestarrt, gelähmt von dem gleichen Entsetzen, das mich jetzt überfiel, denn er hatte selbst im Schlaf gewußt, daß jemand da war.
    Ich schluckte und kämpfte gegen die Panik an. Sei vernünftig, redete ich mir gut zu. Er kann gar nicht wissen, daß du da bist. Der Mann, der den Docht gestutzt hat, hat auch nichts gemerkt. Und der Leibdiener auch nicht, und nichts hat sich verändert, seit er das Zimmer verlassen hat. Trotzdem wuchs meine Überzeugung, daß er meiner gewahr geworden war, bis ich spürte, daß ich regelrecht in die Wand hineinkroch, um mich unsichtbar zu machen. Fast wäre mir das Messer entglitten. Und am liebsten hätte ich geweint.
    Genau in dem Augenblick, als ich einfach den Umhang beiseite schieben und schreien, immer nur schreien wollte, redete er. „Da ist jemand“, sagte er vollkommen gelassen. „Wer ist das?“ In der darauffolgenden Stille biß ich mir auf die Zunge und drückte die Augen vor Schreck ganz fest zu. Er lachte jäh auf. „Ich könnte mir denken, Thu, daß du es bist“, fuhr er im Plauderton fort. „Komm lieber heraus und geißele mich mit den Worten, die du gewißlich eingeübt hast, ich möchte nämlich noch etwas schlafen.“
    Ich gab auf, schob den Umhang beiseite und kam herausgekrochen, und dabei mußte ich ein Aufstöhnen unterdrücken, denn die Beine waren mir eingeschlafen und verweigerten den Dienst. Wacklig kam ich auf die Füße, stand zittrig da, und in mir tobten die Gefühle - Liebe, Wut, Angst und das vertraute kindliche Zögern -, so daß ich kaum noch denken konnte. „Ich habe recht gehabt“, sagte seine Stimme jetzt im Dunkel. „Es ist meine kleine Thu, die ins Nest zurückfliegt wie ein zerrupftes Vögelchen. Natürlich kein kleines mehr, nicht wahr?“
    „Du hast mich verraten.“ Ich wollte, daß die Worte kraftvoll und überzeugend kamen, statt dessen hörte ich mich krächzen. „Verdammt, Hui, du

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